Durch einen Fehler im System die Zukunft erahnen? – Crosslucid schaffen neue Realitäten und hinterfragen alte Strukturen in ihrer Kunst. Dabei leisten sie einen wichtigen Beitrag für die Zukunft von Algorithmen, und zeigen, wie Künstliche Intelligenz (KI) zum Werkzeug statt zur Bedrohung für Kunstschaffende wird.

Das Künstlerduo Crosslucid besteht aus Sylwana Zybura und Tomas C. Toth. Ihre Arbeiten spielen sich zum größten Teil im digitalen Raum ab, weshalb es nicht überrascht, dass sie sich auch dort kennengelernt haben: auf Tumblr. Im Jahr 2014 entschieden sie sich beide, nach Berlin zu ziehen, und gründeten vier Jahre später das Künstlerkollektiv Crosslucid.

Ein Teil ihrer Arbeit ist das „prototyping of emerging futures“, also das Erstellen von Prototypen aufkommender Zukünfte. Dabei versuchen sie sich so zu verhalten und zu denken, als würden sie bereits in einer gerechteren Welt leben. Dieser positive Blick auf eine technologische Zukunft ist nicht nur wichtig, sondern schafft die Voraussetzung dafür, dass diese entstehen kann. Als Künstlerkollektiv schaffen sie so außerdem eine alternative Zukunftsvision zu denjenigen, die durch Unternehmen geprägt sind.

Generative Netzwerke in der Kunst

Ihre Werke beschäftigen sich dabei nicht nur thematisch mit Technologie, sondern entstehen häufig mithilfe von, oder wie Crosslucid es nennt, in Kollaboration mit zum Beispiel einem „Generative Adversarial Network“ (GAN). So ein GAN wiederum besteht aus zwei konkurrierenden künstlichen neuronalen Netzwerken, also algorithmischen Systemen, die dem menschlichen Gehirn nachempfunden sind.

Das eine Netzwerk, der Diskriminator, erhält dabei einen Input in Form von zum Beispiel Fotografien. Das andere Netzwerk, genannt der Generator, generiert zufällig in diesem Fall Bildmaterial mit dem Ziel, möglichst den Fotografien zu ähneln. Dieses durch den Generator zufällig erstellte Bildmaterial wird nun vom Diskriminator auf Echtheit geprüft, also darauf, ob es zu den in diesem Beispiel zuvor als Input gegebenen Fotografien passt.

Während das eine Netzwerk also versucht, ein Bild künstlich zu erzeugen, das den Fotografien möglichst nahekommt, versucht das andere Netzwerk, das künstlich erstellte Bild zu erkennen und als Fälschung zu entlarven. Dabei lernen die beiden Netzwerke voneinander. Das eine Netzwerk wird besser im Erstellen künstlicher Bilder und das andere im Entlarven eben dieser Bilder, es findet also maschinelles Lernen statt.

Landscapes – algorithmische Systeme für Zukunftsvisionen nutzen

Wie ein solches GAN in Bezug auf Zukunftsvisionen genutzt werden kann, zeigen Crosslucid in ihrem Projekt Landscapes. Für dieses Werk haben sie mit einer GAN „kooperiert“, als Input dienten Fotografien aus ihrem vergangenen Projekt Landscapes between Eternities.

Dieses Datenset ist laut Crosslucid im Vergleich zu anderen menschengemachten Datensets, die gezwungenermaßen auch menschliche Biases beinhalten, ein inklusiveres Datenset, das versucht, die Diversität der Gesellschaft widerzuspiegeln. Entstanden sind dabei, so Crosslucid, Formen und Ideen, die einen zukünftigen Raum geschaffen haben, in dem Körper und Geist von strickten Verhaltensmustern befreit sind.

Die Zusammenarbeit mit einem algorithmischen System, wie im Fall von Landscapes, ist eine tiefgreifende transformative Erfahrung, die die Art und Weise verändert, wie wir künstlerische Kreation angehen.

Crosslucid.

Interessant an der Arbeit ist, dass ein GAN normalerweise nach seiner Treffgenauigkeit bewertet wird. Sogenannte „Glitches“, kleine Störungen, sind dabei unerwünscht, aber kaum zu vermeiden. Genau das machen sich Crosslucid zunutze und versuchen, diese sogar absichtlich herbeizuführen. Das tun sie, indem sie bewusst neuronale Netzwerke nutzen, die für die Art des Inputs nicht geeignet sind, also beispielsweise ein für Text trainiertes System für Bilder verwenden.

Landscapes, courtesy of Garage Rotterdam and the artists (c) 2023

Im Fall des Projekts Landscapes sind dadurch Portraits entstanden, die gleichzeitig natürlich und künstlich wirken. Die Portraits sehen nicht wie Fotografien existierender Menschen aus, dennoch ist erkennbar, dass es sich um Portraits von zumindest menschenähnlichen Wesen handelt.

Würden die Netzwerke fehlerfrei funktionieren, würden sie den Input nur in anderer Form reproduzieren, aber nichts wirklich Neues schaffen. In diesem Fall wären also dem Input ähnliche menschlich aussehende Portraits entstanden. Diese kleinen Störungen sind aber der kreative Moment, der es ermöglicht, nicht eine Art Spiegel des Vergangenen, des Inputs, zu erschaffen, sondern etwas gänzlich Neues, potenziell Zukünftiges zu erschaffen. Durch den Einsatz des GAN soll so bewusst geträumt und eine nicht rein aus dem Vergangenen entstehende Zukunft gezeigt werden.

Luzides Träumen durch Glitches konkurrierender Netzwerke

Die Idee hinter dem Einsatz von neuronalen Netzwerken als „Kollaborationspartner“ liegt in der Erkenntnis, dass wenn wir eine sehr spezifische Idee der Zukunft haben, wir diese immer und immer wieder reproduzieren werden. Entwickeln wir nur Zukunftsvisionen auf Basis unserer Erlebnisse in der Vergangenheit, reproduzieren wir die Vergangenheit gezwungenermaßen. Genauso setzt ein neuronales Netzwerk ohne Fehler den Input, das Vergangene, nur neu zusammen. Um hieraus auszubrechen, nutzen Crosslucid die vermeintlichen Fehler der neuronalen Netzwerke in der Bildproduktion.

Genauso wie sie einen kreativen Nutzen aus den Funktionsstörungen von algorithmischen Systemen ziehen, sehen sie auch den Nutzen, den funktionierende algorithmische Systeme in anderen Bereichen für die Gesellschaft haben können, indem sie einen neuen Weg darstellen, die Welt zu erforschen und zu entdecken. Damit arbeiten sie, wie sie selbst sagen, gegen vorherrschende Mythen rund um die Technologie an und kreieren positive Visionen einer Zukunft mit algorithmischen Systemen.

Diversere Konversationen durch die Beteiligung von Künstler:innen

Dabei sehen sie die Schwierigkeit, die durch die Geschwindigkeit der Entwicklung von künstlicher Intelligenz entsteht. Dadurch, so Crosslucid, fällt es vielen schwer, aktiv an aktuellen Diskussionen teilzunehmen. Das führt dazu, dass wenn die Konversation diverser wird und sich zum Beispiel auch Künstler:innen beteiligen, bereits schwer zu ändernde Strukturen entstanden sind. Durch Hype Cycles werden zudem nuancierte Konversationen erschwert, so Crosslucid weiter.

 Ja, dies ist eine Zeit, in der wir dringend mehr Kreativität brauchen, um die zahlreichen Krisen zu bewältigen, die uns umgeben – Vertrauenskrise, Klimakrise, Gleichberechtigung und vieles mehr.

Geoff Mulgan[1]

Um diversere Konversationen zu aktuellen technologischen Entwicklungen zu ermöglichen, braucht es in erster Linie mehr Funding für Künster:innen. Gäbe es das, so Crosslucid, wären Künstler:innen in der Lage, über bloße Kritik an Technologien hinauszugehen. Weiter fordern sie, dass Künstler:innen sich in interdisziplinäre Zusammenarbeiten einbringen, um Technologien und Narrative zu erforschen und zu entwickeln, die außerhalb der Wünsche von Unternehmen liegen. Dann kann Kunst auch ihre Rolle als soziale Praxis der aktiven Gestaltung und Anregung von Zukunftsvisionen in diesem Feld einnehmen und über den Status der Kritik der Technologien im aktuellen Zustand hinauswachsen.

Sentient Sigil, Sacred/Blissful, AI generated image, courtesy of the artists (c) 2023

Neue Wissenswelten durch algorithmische Systeme eröffnen

Genau das versuchen Crosslucid in ihrem Filmprojekt „Dwellers between Waters“, aus dem zwei Szenen aktuell in einer Onlineausstellung der Galerie Epoch zu sehen sind. Dabei haben Crosslucid mit Text zu Bildmodellen gearbeitet, um diese Szenen entstehen zu lassen.

Im Kern repräsentiert Dwellers Between the Waters einen gewagten Vorstoß in die Schnittmenge aus Künstlicher Intelligenz, Magie und Alchemie, um funktionierende Lösungen für Traumata unserer heutigen Zeit zu finden.

Crosslucid

Als Teil der Onlineausstellung Xenospace zeigen Crosslucid hier eine 3D-Skulptur sowie eine Videoarbeit. Bei einem virtuellen Gang durch die Ausstellung lässt sich hier erfahren, wie es aussieht und sich anhört, wenn durch maschinelles Lernen Kunst entsteht, die Lösungen für aktuelle Krisen finden und eine Konversation jenseits der Grenzen unserer physischen Welt eröffnen soll. Das schafft neue Perspektiven, die sich bestenfalls in einem Wandel materialisieren.

Dwellers Between The Waters, installation at Xenospace, courtesy of Epoch Gallery & the artists, (c) 2023

Dieser spielerische Umgang mit neuronalen Netzwerken, den Crosslucid in ihren Projekten umsetzen, ermöglicht nicht nur einen anderen Zugang zu algorithmischen Systemen sondern auch zu unserer Realität und alternativen Zukunftsvisionen.

Abschließend wurden Crosslucid noch nach ihrer Vision für die Zukunft gefragt. Ihre Antwort kommt nun unkommentiert als letzter Teil dieser Blogartikelreihe:

Crosslucids Zukunftsvision vom Zusammenleben mit algorithmischen Systemen:

Eine positive Zukunft mit algorithmischen Systemen zu entwerfen, erfordert einen Wandel unserer Wahrnehmung – weg von Dominanz hin zu Koevolution und Weisheit. Statt KI als direkten Konkurrenten zu betrachten, sollten wir sie als komplexe Begleiterin sehen, die unsere Fähigkeiten und unser Selbstbild neu formt. Um dies zu erreichen, müssen wir eine kritische Haltung gegenüber nichtmenschlicher Intelligenz einnehmen und gleichzeitig ihr Potenzial anerkennen, um unseren aktuellen Pfad hin zu einer nachhaltigeren Vision des Zusammenlebens zu lenken – einschließlich zu angemessenen Machtverhältnissen. Durch aktuelle Entwicklungen haben wir das Potenzial, eine neue Ära von reichhaltigen Medien zu betreten, die den sozialen Wert von Kunst und Künstlern als Universalgelehrte bestätigt, die über eine Vielzahl von Realitäten und Mythen hinweg operieren. Unsere Hoffnung ist, dass dies zu einer Wiederverstrickung mit einer sinnvolleren und mitfühlenderen Kosmologie führen wird. 

Wenn wir uns weiterentwickeln, müssen wir erkennen, dass wahre Intelligenz nicht nur eine Frage der Datenverarbeitung ist, sondern des Fühlens und Erlebens der Welt in all ihrer Komplexität. Auf diese Weise kann unsere Zusammenarbeit mit KI zu einem ganzheitlicheren Verständnis von uns selbst und von einem biodiversen Ökosystem führen. 


[1] Mulgan, George (2022). Another World Is Possible: How to Reignite Social and Political Imagination. London: C Hurst & Co Publishers Ltd.


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