Wir brauchen diversere Zukunftsvisionen – auch im Digitalbereich. Denn: Nur wenn wir alternative Zukunftsvisionen fördern, ist eine gemeinwohlorientierte Zukunft möglich!

Barcelona: Einst bekannt für Stau, Lärm und wenig Grünflächen hat diese Metropole sich in den letzten Jahren zu einem Vorbild für nachhaltige Stadtentwicklung gemausert. Der Verkehr, der vorher mitten durch die Wohngebiete lief, wird nun um die sogenannten Superblocks herumgeleitet. In diesen Superblocks spielt sich das Leben ab und die Straßen werden zum erweiterten Wohnzimmer.

Was die Entstehung von Superblocks mit Zukunftsvisionen zu tun hat? Am Anfang der Entwicklung stand die Vision einer Stadt, die lebenswerter, grüner und nachhaltiger ist. Es wurde nicht versucht, einzelne Probleme, wie beispielsweise zu viel Autoverkehr, in der Stadt einzeln anzugehen. Stattdessen wurde Stadtplanung radikal und ganzheitlich neu gedacht, mit Blick darauf, was für die Bürger:innen wünschenswert ist.

Es gab eine Vision, auf die die Stadt, die Politik und die Bürger:innen hinarbeiten konnten. Hier wird die transformative Kraft, die positive Visionen der Zukunft in sich tragen, deutlich. Wer die Deutungshoheit über die Zukunft hat, kann auch maßgeblich mitbestimmen, wo wir als Gesellschaft hinsteuern.

Positive Zukunftsvisionen in Deutschland

Laut einer Studie aus dem Jahr 2021 blicken zwei Drittel der Deutschen ängstlich in die Zukunft. Das sind erschreckende Zahlen, da gerade in Zeiten von vielen gleichzeitig stattfindenden Krisen ein positiver Blick in die Zukunft helfen kann, den Problemen im Jetzt zu begegnen. Solch eine resignative Haltung gegenüber der Zukunft, ein „No Future“-Modus, wie es in der Studie heißt, hat aber noch weitreichendere Folgen: Es kommt zu einer Krise der geteilten sozialen Imagination. Dabei spielt soziale Imagination eine wichtige Rolle: Sie beschreibt die Fähigkeit einer Gesellschaft, sich eine wünschenswerte Zukunft gemeinsam vorzustellen.

“The world faces a deficit of social imagination. We find it easy to imagine apocalypse and disaster; or to imagine new generations of technology. But we find it much harder than in the past to imagine a better society a generation or more into the future”

Geoff Mulgan

Eine Krise der sozialen Imagination bedeutet, dass es der Gesellschaft schwerfällt, eine geteilte positive Vision der Zukunft zu entwickeln. Dass positive Zukunftsvisionen aus der Gesellschaft entstehen, ist aber wichtig, da die Zivilgesellschaft sonst zur Beobachterin anstatt zur Gestalterin ihrer eigenen Zukunft wird. Das liegt daran, dass Zukunft stark durch die Zukunftsvisionen, die in einer Gesellschaft vorherrschen, beeinflusst wird.

Zukunftsvisionen aus der Zivilgesellschaft im Digitalbereich

Im Digitalbereich ist die Perspektive der Zivilgesellschaft im Diskurs über Zukunftsvisionen unterrepräsentiert. Zivilgesellschaftliche Organisationen finden eher als „Watchdogs“ Einzug in den Diskurs, indem sie Verstöße melden und Risiken im Jetzt adressieren. Beispielsweise befasst sich AlgorithmWatch als Non-Profit-Organisation mit den Risiken und Auswirkungen automatischer Entscheidungsfindung für die Zivilgesellschaft und HateAid unterstützt Betroffene von digitaler Gewalt. Beide engagieren sich gegen aktuelle Missstände und beschäftigen sich damit, wie diese adressiert werden können.

Was aber fehlt, sind Visionen davon, wie der digitale Raum alternativ zum Status quo aussehen könnte, am besten aus der Zivilgesellschaft. In den vorherrschenden Narrativen wird der Mensch immer mehr zum Inhalt statt zum Profiteur von Technologien. Während die erste Generation von Staubsaugrobotern beispielsweise noch unseren Teppichboden gesaugt hat, sammeln die Folgegenerationen zudem Daten über uns und unsere Wohnung.

Dominanz techniksolutionistischer Zukunftsvisionen

Die Vorstellung davon, wie Technik in Zukunft unser Leben beeinflussen wird, ist geprägt durch Unternehmen und Techniksolutionismus. In der Ideologie des Techniksolutionismus kann jedes soziale Problem mit dem Einsatz von Technik gelöst werden. Ein solcher Ansatz missversteht, dass soziale Probleme komplex sind und sich meistens nicht monokausal lösen lassen. Technologie kann zwar ein Teil der Lösung für soziale Probleme sein, aber nur, wenn sie sozial eingebettet wird.

Es ist ein Problem, dass es kaum Alternativen zu diesen Zukunftsvisionen gibt, denn die Arbeit der Politik ist geprägt durch bereits existente Zukunftsvisionen. Nur zu definieren, was nicht gewünscht, ist reicht nicht aus. Allein durch das Bekämpfen von Hass im Netz kommen wir nicht zu einem fairen Netzwerk, wir brauchen zudem erst einmal eine Vorstellung davon, wie ein faires Netzwerk überhaupt aussehen könnte. Fehlen solche positiven Visionen, ist die Gesellschaft in ihrer Entwicklung beschränkt.

Alternative Zukunftsvisionen müssen zu Entscheider:innen durchdringen

Aber nicht nur das Fehlen solcher alternativen Narrativen ist ein Problem. Denn selbst die bereits existierenden Zukunftsvisionen aus der Zivilgesellschaft schaffen es nicht, zu den Entscheider:innen durchzudringen. Während Digitalkonzerne wie Amazon, Meta, Alphabet oder Microsoft Rekordsummen für Lobbyarbeit in den EU-Institutionen ausgeben, haben die wenigen zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie beispielsweise das Superrr Lab, das in diesem Bereich tätig ist, dafür kaum Budget.

Das führt dazu, dass die Zukunftsvisionen, die in der Politik verbreitet sind, eher selten aus der Zivilgesellschaft kommen. Gibt es keine Alternativen zu den meist techniksolutionistischen Visionen, ist die Politik in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt auf die bestehenden Narrative. Wünschenswert wären aber gemeinwohlorientierte Zukunftsvisionen als Basis für eine politische Umsetzung.

Es gibt bereits Lösungsansätze

Es gibt bereits Organisationen, die dieses Problem erkannt haben und an der Lösung arbeiten. Das Ziel dieser Organisationen ist es, positive Visionen aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft zu fördern, sichtbar zu machen und so die Gesellschaft wieder aktiv am Gestalten der Zukunft zu beteiligen. Blickt man auf diese Organisationen, fallen zwei Dinge auf: In Deutschland finden sich weniger Organisationen als im Ausland und diese sind eher klein und spezialisiert.

Aber die anfangs zitierte Studie weckt auch Hoffnung: Die Bereitschaft, allein oder mit Gleichgesinnten für eine lebenswerte Zukunft tätig zu werden, wächst. Somit bleibt die Aufforderung: Es lohnt sich, einen mutigen Blick in die Zukunft zu werfen! Es ist wichtig, die Risiken und Probleme im Jetzt nicht zu unterschlagen und gleichzeitig die Chancen zu sehen, die in der Zukunft liegen. Denn eins ist klar: Welche Zukunft Realität wird, beeinflussen wir im Jetzt!


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