Welche Vision der Zukunft wird sich durchsetzen? Auch wenn momentan im Digitalbereich die Narrative der großen Unternehmen vorherrschen, ist die Zukunft noch nicht entschieden. Es gibt bereits alternative Zukunftsvisionen – auch aus der Zivilgesellschaft –, allerdings finden diese teilweise noch nicht genug Gehör.

Im Bereich der Digitalisierung stehen große Unternehmen kleinen zivilgesellschaftlichen Organisationen gegenüber – ein Kampf wie David gegen Goliath. Warum sind die vorherrschenden Narrative so selten durch die Zivilgesellschaft geprägt und was muss geschehen, damit sich das in Zukunft ändert?

Wir brauchen einen stärkeren Austausch zwischen Zivilgesellschaft und Politik – auch im Digitalbereich

Die Handlungen von Politiker:innen werden durch die Zukunftsvisionen mitbestimmt, die sie für möglich halten. Blickt man auf den Digitalbereich, sind das vorrangig durch große Unternehmen gezeichnete Narrative. Für die Visionen der Zivilgesellschaft setzen sich vor allem kleine gemeinnützige Organisation ein, die nicht über genügend Ressourcen verfügen, um mit der Tech-Industrie in puncto Lobbyarbeit mithalten zu können.

Das führt dazu, dass Politiker:innen ständig umgeben sind von den Zukunftsvisionen der großen Unternehmen, aber selten Alternativen gezeigt bekommen. Jeder Mensch ist aber in seinen Handlungen von den Visionen geprägt, die er von der Zukunft hat, das gilt genauso für Politiker:innen. Sind diese Visionen einseitig geprägt, führt das zu einer Einschränkung der Handlungsfähigkeit.

Um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, muss ein institutionalisierter Austausch zwischen Politiker:innen und (kleinen) zivilgesellschaftliche Organisationen geschaffen werden, um deren Stimme zu stärken. Wie eine starke digitale Zivilgesellschaft aussieht und welche Vorteile ihre Beteiligung hat, lässt sich durch einen Blick auf Taiwan erahnen. Partizipation wird dort direkt durch Plattformen ermöglicht. Ob diese Ansätze auch in Deutschland funktionieren würden, ist fraglich. Es gibt aber bereits eine kleine Organisation in Deutschland, die sich der Verbreitung von positiven Zukunftsvisionen aus der Zivilgesellschaft angenommen hat: das Superrr Lab.

Das Superrr Lab ist eine unabhängige, gemeinnützige, feministische Organisation, die alternative Zukunftsvisionen aus der Zivilgesellschaft fördert. Um das zu erreichen, organisiert das Lab Workshops, Forschungsveranstaltungen oder auch Fellowships.

Durch das Risktakers Fellowship, ein Förderprogramm der Allianz Foundation und des Superrr Labs, soll zum Beispiel ein Ort geschaffen werden, an dem Visionen für mögliche digitale Zukünfte entstehen können, indem diverse Stimmen gehört und Perspektiven gezeigt werden.

Große Organisationen im Bereich fehlen in Deutschland

In Deutschland gibt es keine größeren Organisationen, die sich auf die Förderung und Verbreitung von Zukunftsvisionen konzentrieren. Mit Blick auf diese fehlt daher gerade im Digitalbereich ein ebenbürtiger Gegenspieler zu den großen Unternehmen, was die eingesetzten Ressourcen anbelangt – anders sieht das im Ausland aus.

In den Niederlanden gibt es bereits seit 1994 einen Zusammenschluss aus Designer:innen, Wissenschaftler:innen und Künstler:innen. Mit über 100 Beschäftigten ist Waag im Vergleich zum Superrr Lab mit neun Beschäftigten deutlich größer. Sie haben es sich aber ebenfalls zum Ziel gesetzt, der Zivilgesellschaft die Möglichkeit zu geben, die Zukunft aktiv mitzugestalten. Dazu hat die Gruppe 16 Research Labs eingerichtet, die sich auf die Erforschung von Themen im Zusammenhang mit der Zukunft spezialisiert haben.

Das Projekt von Waag stellt dabei nur ein Beispiel dar, wie die Zivilgesellschaft in den Diskurs über die Zukunft eingebunden werden kann. Hier wird eine Plattform geschaffen, die Designer:innen, Wissenschaftler:innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und politische Entscheidungsträger:innen zusammenbringt, um über Aspekte einer gewünschten Zukunft zu diskutieren. Das passiert dann zum Beispiel ganz unkonventionell bei einem Spaziergang durch die Niederländische Hauptstadt, bei dem Passant:innen nach ihren Vorstellungen für die Zukunft befragt werden.

Die Realisierbarkeit von Zukunftsvisionen

Zukunftsvisionen sind ein abstraktes Thema, das zu Berührungsängsten führen kann. Eine Möglichkeit, dem zu begegnen, sind konkrete Projekte. Wie es möglich ist, diese aus abstrakten Ideen über die Zukunft abzuleiten, zeigt das Tool. Entwickelt wurde das Tool von AKAW, einer Initiative für Zukunftsforschung der Berliner Initiative State.

Future Canvas ist ein Werkzeug zur Entwicklung von Zukunftsvisionen aus der Zivilgesellschaft. Verschiedene Partner:innen können dabei eine sogenannte Challenge starten, die immer auf einer komplexen Zukunftsfrage basiert. Ein Beispiel für so eine Zukunftsfrage lautet: „Wie können digitale Technologien zu einem gesunden Leben beitragen?“.

Die Challenge besteht dabei aus drei Phasen: In der ersten Phase, der Spekulationsphase, können alle Teilnehmenden ihre Ideen eintragen, diese werden dann nach Wahrscheinlichkeit und Erwünschtheit ihres Eintretens bewertet. Eine wünschenswerte, aber unwahrscheinliche Spekulation in diesem Kontext ist zum Beispiel: „Durch digitale Technologien werden psychische Probleme von unserer Erde verschwinden“.

In der zweiten Phase, der Ideenphase, werden im Rahmen einer Ideenwerkstatt auf Basis der Spekulationen Projekt- oder sogar erste Produktideen entworfen. In der letzten Phase werden ausgewählte Ideen gefördert und in diesem Fall über drei Monate hinweg ausgearbeitet. Auf diese Weise entstand beispielsweise in der Vergangenheit die Idee, eine App zu programmieren, die pflegende Angehörige vernetzt, um einen Austausch zwischen ihnen zu ermöglichen. Diese Idee kann momentan online bewertet werden.

Zukunftsvisionen als abstraktes Thema – ein Blick zur Kreativbranche kann helfen

Eine weitere Möglichkeit, dem abstrakten Thema der Zukunftsvisionen zu begegnen, ist mittels Design: beispielsweise indem abstrakte Zukunftsvisionen nachgebaut und so wortwörtlich begehbar werden, wie zum Beispiel die 2009 gegründete Londoner Agentur, die sich darauf spezialisiert hat, über Design Zukunftsvisionen erschließbar zu machen.

Für ihr Projekt Mitigation of Shock haben sie zum Beispiel ein Apartment in London gebaut, das an ein fiktives Leben im Jahre 2050 mit weit fortgeschrittenem Klimawandel angepasst ist. Das Konzept des Apartments basiert dabei auf Daten von heute, es wird also eine – in diesem Fall negative – Zukunftsvision zum Leben erweckt. Auf diese Weise wird die reine Vision von der abstrakten Ebene der Idee zu einem in der Realität betretbaren Raum umgewandelt, der mit allen Sinnen wahrgenommen werden kann. Dieser Raum kann dann Startpunkt für wichtige Konversationen sein.

Potenziale liegen auch im künstlerischen Bereich

Das Künsterduo Crosslucid zum Beispiel befasst sich nicht nur mit der digitalen Zukunft, sondern setzt Technologie ein, um diese zu erforschen. Gegründet im Jahr 2018, nutzt es Methoden wie Film, poetische Künstliche Intelligenz, mehrschichtige Techniken der Collage und Assemblage, um Szenarien zu entwickeln, die das Erfahren potenzieller Zukünfte ermöglichen.

Ein Beispiel für ihre Arbeit ist das Projekt Landscapes, bei dem das Duo in „Kollaboration“ mit einem neuronalen Netzwerk 5000 Porträts von Lebensformen der Zukunft erschaffen hat. Herausgekommen sind diverse, teilweise unheimlich anmutende Portraits.

Ein weiteres Projekt von Crosslucid in Kooperation mit dem Designer Don Aretino ist der Kurzfilm Primer, in dem eine Realität dargestellt wird, „in which instability will foster a landscape of fluidity and openness liberated from the structures confining the now.“ Das Ziel des Films ist es, einen Diskurs zu starten, der auf der Annahme basiert, dass eine alternative Zukunft möglich ist.

Alternative Zukunftsvisionen können sich durchsetzen

Abschließend lässt sich festhalten, um bei der Analogie von David und Goliath zu bleiben, dass auch wenn die Zukunftsvisionen von großen Unternehmen momentan mehr Raum einnehmen, alternative Zukunftsvisionen existieren und sich diese auch durchsetzen können.

Voraussetzung dafür ist, dass ein Austausch zwischen Politik und zivilgesellschaftlichen Organisationen stattfindet. Außerdem braucht es auch in Deutschland mehr Ressourcen für bestehende Organisationen; ein Blick ins Ausland kann sich lohnen denn dort gibt es bereits größere Organisationen in diesem Bereich. Auch der Blick auf die Kreativbranche kann hier helfen, einen Zugang zur Thematik zu finden und der Abstraktheit des Themenfelds zu begegnen.


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