Dass Menstruations-Apps zur Gefahr für die Nutzer:innen werden können, wird seit der Änderung des US-amerikanischen Abtreibungsrechts immer klarer. Abhilfe können datensparsame Apps wie drip schaffen, aber es braucht auch politische Veränderungen.

„Delete your period apps“. Diese Aufforderung, Perioden-Apps zu löschen, verbreitete sich Ende Juni diesen Jahres in den sozialen Medien. Anlass war die Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Courts, das seit 50 Jahren verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf Abtreibung zu kippen. Die Richter:innen stellten in der Mehrheitsmeinung fest, dass die amerikanische Verfassung (die ganz nebenbei aus dem Jahre 1787 stammt) keinen Passus zum Recht auf Abtreibung enthalte, da es diesen Begriff nicht explizit enthalte.

Die umstrittene Entscheidung in den USA hat auch in Europa und Deutschland Debatten ausgelöst. Wichtiger Teil dieser Diskussion wurden Menstruations-Apps, denn aus den dort eingetragenen hochsensiblen Daten kann (unter anderem) herausgelesen werden, wenn eine Abtreibung vorgenommen wird.

Missbräuchlicher Umgang mit den Daten

„Löscht Eure Perioden-Apps“ wurde zur Parole: Frauen und menstruierende Personen sollen auf digitale Tracking-Methoden verzichten und ihre Menstruation lieber wieder auf dem Papier festhalten. Wollen wir aber wirklich auf den Komfort, den uns diese Technologie ermöglicht, verzichten? Denn Menstruations-Apps helfen ihren Nutzer:innen zu wissen, wann die nächste Periode anfängt oder wann die fruchtbaren Tage sind. Sie machen es den Nutzer:innen einfacher, ihren Zyklus zu beobachten, sie geben Gesundheitstipps und analysieren Symptome. Kurz: Sie sind sehr praktisch. Das Problem: Die meisten Apps sammeln eine Vielzahl an besonders sensiblen (Gesundheits-)Daten, die sie zum einen für personalisierte Werbung nutzen und die sie zum anderen nicht selten an Dritte weiterverkaufen. So hatte Privacy International schon 2019 in einer Untersuchung nachgewiesen, dass ein Großteil der Menstruations-App-Anbieter die Daten zum Beispiel mit Meta (damals Facebook) teilt, ohne die Zustimmung ihrer Nutzer:innen einzuholen  (Schwangere und werdende Familien gelten als Goldgrube für Werbetreibende). So sind die Apps nur auf den ersten Blick kostenlos, auf den zweiten Blick erkennt man, dass Nutzer:innen mit Preisgabe ihrer Daten bezahlen.

Gefahren durch Datenabfluss an Strafverfolgungsbehörden

Zusätzlich zu den Profitinteressen kommt das Interesse von Strafverfolgungsbehörden dazu. Denn durch die Apps kann das Ende einer Schwangerschaft abgelesen werden, unabhängig davon, ob sie auf natürlichem Wege passiert oder willentlich herbeigeführt wird. Im Lichte der Abtreibungsentscheidung in den USA wird hier besonders deutlich, wie gefährlich die auf den ersten Blick harmlos wirkenden Apps für ihre Nutzer:innen werden können – der potenzielle Datenabfluss an Strafverfolgungsbehörden ist nicht mehr nur Schreckgespenst, sondern in Staaten mit Abtreibungsverboten nun sehr realistisch geworden.

Damit sind die Zyklus-Apps der wahr gewordene Albtraum von Datenschützer:innen sowie Schwangeren und zeigen, was in einer Welt möglich ist, in der wir uns einerseits zu wenig Gedanken über die Konsequenzen unseres Datenteilens machen und in der andererseits immer mehr Lebensbereiche digital getrackt werden.

Es gibt bessere Lösungen als die analoge Strichliste

In diesem Kontext lohnt es sich, die Apps, die man verwendet, und deren Berechtigungen genauer anzuschauen – auch in Deutschland.  Zuerst einmal: Diejenigen Apps, die vermeintlich umsonst sind, die man aber mit seinen sehr kostbaren Daten füttert, sollte man löschen. Stattdessen sollte man Apps nutzen, die etwas kosten (Premium-Varianten), die die Daten für Forschungszwecke nutzen, oder – und das ist die beste Alternative – auf eine App zurückgreifen, die open source ist und weder der Datensammelwut der vermeintlichen Gratisanbieter noch deren Profit dient. Anwendungen, die die Daten ausschließlich lokal auf dem Handy (also nicht in einer Cloud) und idealerweise noch verschlüsselt speichern, sind die sicherste Alternative. Die viel zitierte Strichliste im Kalender muss nicht die einzige Möglichkeit sein, souverän mit dem eigenen Zyklus umzugehen.

Die Anwendung drip, entwickelt von einem gemeinnützigen Berliner Programmierer:innen-Kollektiv ist hierfür ein gutes Beispiel und zeigt, dass (Gesundheits-)Apps dem Gemeinwohl dienen können. drip wird von menstruierenden Personen für menstruierende Personen entwickelt, die dem „Do it yourself – do it together“-Prinzip folgen und Wert legen auf Open Source (mehr dazu auf Gitlab, einer Plattform für partizipative Softwareentwicklung), Transparenz und wissenschaftliche Methoden.

In drei Aspekten hebt sich drip von konventionellen Tracking-Apps ab: Zum einen werden die Daten ausschließlich lokal auf dem Handy der Nutzer:innen gespeichert und benötigen keine Internetverbindung, was bedeutet, dass die Hoheit über die sensiblen Daten bei den Nutzer:innen bleibt. Zum Zweiten ist die App genderneutral gestaltet und kommt ohne pinke und florale Designs aus. Und Drittens legt drip Wert auf die höchstmögliche Datensparsamkeit und erhebt nur Daten, die für eine wissenschaftlich fundierte Vorhersage des Zyklus notwendig sind. Drip errechnet mithilfe des Durchschnitts der Zykluslänge (es müssen mindestens drei Zyklen eingetragen sein) in Abhängigkeit der Standardabweichung ein Vorhersagefenster von drei bis fünf Tagen. Bei vielen Apps wird das nicht transparent gemacht und die Vorhersage wird oftmals nur „Pi mal Daumen“ berechnet. Im Falle von Gesundheit und Sexualität kann diese Ungenauigkeit aber große Folgen haben und bei den Nutzer:innen zu einem falschen Verständnis für ihren Körper führen.

Nutzer:innenzentrierte, datensparsame Alternativen nutzen und fördern

Die simple Forderung „Löscht Eure Perioden-Apps“ muss also nicht die einzige Alternative sein. Technologie lässt sich, das demonstrieren Anwendungen wie drip, durchaus gemeinwohlorientiert im Nutzer:inneninteresse einsetzen, um uns Aspekte des alltäglichen Lebens zu erleichtern. Denn Technik kann uns Menschen unterstützen: Zyklus-Apps bieten einen großen Komfort und ermöglichen den Nutzer:innen zum einen, die eigene Gesundheit und Sexualität besser kennenzulernen, und zum anderen, souverän im Umgang damit zu sein. Auf diesen Komfort sollten wir nicht verzichten müssen.

Wie in vielen Bereichen liegt die alleinige Verantwortung für den Schutz der reproduktiven Privatsphäre allerdings nicht nur bei den Nutzer:innen, sondern auch bei Politik und Herstellern. Neben strengeren datenschutzrechtlichen Vorgaben für Technik (etwa datenschutzfreundliche Voreinstellungen und Datensparsamkeit) und EU-Regulierung, um die Daten europäischer Bürger:innen zu schützen, sollte die Politik stärker gemeinwohlorientierte Technologien unterstützen.  Projekte und Anwendungen, die das Interesse der Nutzer:innen in den Mittelpunkt stellen und unter gemeinwohlorientierten Prinzipien entwickelt und eingesetzt werden, müssen verstärkt politisch gefördert werden. drip ist hierfür ein gutes Beispiel: Es wurde durch das Ministerium für Bildung und Forschung, den Prototyp Fund (ein Projekt der Open Knowledge Foundation) und die Mozilla Foundation gefördert. Allerdings erfolgte die Förderung bisher nur auf Zeit und das Projekt wird durch die Entwickler:innen ausschließlich im digitalen Ehrenamt betrieben. Wenn wir es ernst meinen mit inklusiven, gemeinwohlfördernden Technologien, dann braucht es in diesem Bereich langfristige politische Verpflichtungen, nachhaltige Förderprogramme und eine echte Unterstützung der Zivilgesellschaft. Denn Engagierte wie das drip-Kollektiv zeigen, wie die Chancen von Technologien gemeinwohlorientiert eingesetzt werden können.


Dieser Text ist lizenziert unter einer  Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.