Statusupdate: Digitalpolitik spielt bei dieser Europawahl bisher kaum eine Rolle. So scheint es zumindest. Wie ist das zu erklären? Eine einfache Wahrheit ist, dass über ein Fünftel der Wahlberechtigten über 60 Jahre alt ist. Da passt ins Bild, dass der Wahl-O-Mat nur eine Frage zu Fluggastdaten abfragt. Auch hat kaum eine der nun zur Wahl stehenden Personen ein digitalpolitisches Profil. Eine andere Erklärung ist, dass es bei der Wahl um etwas Größeres geht als um die Zukunft der EU – nationale und europäische Interessen stehen im Widerstreit. 

Doch keine dieser Erklärungen überzeugt ganz. Zum einen steckt in Europa inzwischen jede Menge Digitalpolitik – wie zuletzt nicht nur die Debatten rund um Urheberrecht, Datenschutz, gesellschaftliche Anfälligkeiten für digitale Manipulation, Marktmacht oder faire Besteuerung von immaterialgüterbasierten Netzwerkgeschäftsmodellen – wie eben Facebook oder Google – gezeigt haben.

Europa sucht „dritten Weg“ in der Digitalpolitik

Zwar fehlen Protagonisten, die glaubwürdig um diese Themen streiten, die selbst für die Digitalthemen stehen und brennen. Doch anders als im sichtbaren Wahlkampf haben sich die Parteien sehr wohl Mühe gegeben, Antworten auf diese Fragen zu geben. Allerdings muss der Wähler sich dafür in die Wahlprogramme einlesen – oder einhören, denn manche gibt es auch als MP3.

Wer das tut, findet ein Leitmotiv in vielen der Wahlprogrammen der im Bundestag vertretenen Parteien wieder: Europa muss sich in der digitalen Welt einen eigenen Weg suchen. Und der soll irgendwo zwischen US-amerikanischem Silicon-Valley-Kapitalismus und dem plankapitalistischen, kollektivüberwachungsorientierten China-Ansatz liegen. Doch was das in der Konsequenz bedeutet, da gehen die Meinungen auseinander.

Parteien haben durchaus neue – unterschiedliche – Ansätze

So schlägt die AfD etwa vor, europäische Hard- und Software stärker zu fördern indem Regionalmittel der EU dafür umgewidmet werden. Zwar plädieren auch alle anderen für eine solche Förderung – allerdings auf anderen Wegen. Die FDP will etwa Gründungen in regulatorisch gelockerten EU-Mitgliedstaatsgrenzen übergreifenden Sonderwirtschaftszonen ermöglichen. Auch Gedanken zu einer europäisch organisierten Cyberabwehr und eines hohen Datenschutz- und Datensicherheitslevels finden sich bei den Liberalen. Und zumindest im Digitalen verfolgen sie eine weitere Vervollständigung des Binnenmarkts durch einheitliche Regeln und Maßnahmen.

Bei der SPD hingegen liegt der Fokus auf einer Mischung aus „massiven Investitionen“ sowie „intelligenter und konsequenter Regulierung“. Ihre Themen reichen von Steuerrecht über Schnittstellen-Verpflichtungen für große Dienste bis zu Arbeitsschutz, Datenschutz und Softwarehaftung. Das digitale Europa, das der SPD vorschwebt, wäre merklich anders als das heutige. Und auch deutlich anders als eine Digitalisierung „made in“ USA oder China.

Auch bei CDU und CSU finden sich im gemeinsamen Wahlprogramm viele Ansätze für Änderungen an der bisherigen Digitalpolitik  angefangen davon, dass eine europaweit einheitlichen Start-up-Definition gefunden werden soll bis hin zur steuerrechtlich relevanten Einführung sogenannter „virtueller Betriebsstätten“ und einheitlicher Bemessungsgrundlagen. Interessant, aber leider nicht ausgeführt: der Wunsch nach einer „europäischen Digitalplattform für smarte Anwendungen und Künstliche Intelligenz“, die Europa digital unabhängiger machen soll.

Die Grünen haben ein ganzes Paket an verschiedensten Maßnahmen zusammengefasst, welche die Digitalisierung „demokratisch, ökologisch, sozial und feministisch“ gestalten sollen. Im Steuerrecht befürworten sie eine umsatzorientierte Digitalsteuer und europäische Mindeststeuersätze. Bei der Entflechtung von großen IT-Unternehmen und beim Verbraucher- und Datenschutz sind die Grünen ebenfalls mit klaren Aussagen verortbar.

Und auch bei der Linkspartei finden sich eigene Ansätze wieder, die woanders so nicht zu lesen sind: „Die öffentlichen Infrastrukturen und Dateninfrastrukturen dürfen nicht an Tech-Konzerne verkauft werden, sondern gehören in die öffentliche Hand.“ Zudem fordert die Linke die Einführung einer Digitalsteuer, virtueller Betriebsstätten und in letzter Konsequenz eine einheitliche Besteuerung, aber auch ein Exportverbot für waffenähnliche Technologien.

tl;dr: Viele Einzelpositionen, kein Gesamtbild

Wer also sagt, Digitales spiele bei der Europawahl kaum eine Rolle und sei für die Wahlentscheidungen unerheblich, der will eigentlich sagen: too long;didn’t read. Wer wirklich wissen möchte, wie die Parteien sich digitalpolitisch aufstellen, kann durchaus klare Eindrücke gewinnen und Unterschiede sehen. Vor allem bei den Themen Steuerrecht, Wettbewerbsrecht, automatisierten Inhaltefiltern und der längst überfälligen E-Privacy-Verordnung beziehen die Parteien Position. Doch obwohl sie fast alle eine Vielzahl an Einzelmaßnahmen im Angebot haben, die Europas digitalen Weg beeinflussen könnten, ergibt sich bei keiner der großen Parteien ein schlüssiges Gesamtkonzept. Ein bisschen Neuland ist es dann doch noch, dieses digitale Europa auf der Suche nach einem eigenen Weg.

Nachfolgend die etwas ausführlichere Zusammenfassung der digitalpolitischen Aussagen der Wahlprogramme der derzeit im Bundestag vertretenen Parteien:


AfD

Die AfD hat in ihrem Wahlprogramm wenige, aber sehr konkrete Ideen zur Digitalpolitik: Datenschutzgrundverordnung abschaffen und stattdessen nationale Gesetze, auf keinen Fall will sie ein europäisches Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Sie fordert in ihrem Europawahlprogramm eine bessere Digitalbildung in den Schulen, die aber nicht europäisch finanziert oder vorgegeben werden dürfe.

Verpflichtende Digitalisierung wie e-Call und Smart Meter oder digitale Identitäten zur Kommunikation mit der Verwaltung lehnt sie ab, fordert starke Verschlüsselung und einen Rechtsanspruch auf Sicherheitsupdates für internetfähige Endgeräte. Sie verfolgt zudem das Ziel einer stärkeren Rolle europäischer Hard- und Software, nicht zuletzt durch die Umwidmung von Regional- in Technologiefördermittel.


FDP

Immerhin acht Seiten widmet die FDP ausdrücklich dem Thema Digitalpolitik, dazu an einigen Stellen ihres Wahlprogrammes in anderen Kontexten. Umfangreiche Forderungen stellt sie zum Beispiel in der digitalen Bildung auf, bei der sie auf länderübergreifende digitale Bildungsplattformen setzt, in der Forschung soll OpenAccess zum Standard werden und eine digitale Vernetzung der Forscher Europa insgesamt voranbringen. Auch im Bereich der Internetzugänge ist die FDP relativ konkret: sie fordert Glasfaser bis zum Gebäude in ganz Europa, notfalls auch mit EU-Fördermitteln, einen Fokus beim 5G-Infrastrukturausbau auf die europäischen Verkehrsachsen und will strenge Transparenzauflagen für alle an dem Infrastrukturaufbau beteiligten Unternehmen. Einen Infrastrukturfokus legt die FDP auch auf die Digitalisierung der Landwirtschaft. Innovative Verkehrssysteme sollen zudem gefördert werden, für die verkehrsträgerübergreifende Intermodalität setzt die FDP dabei auf offene IKT-Standards.

Sehr deutlich spricht sie sich für „Digitale Freihandelszonen“ aus: grenzüberschreitende Sonderwirtschaftszonen, die regulatorisch vereinfachte Verfahren bereithalten, damit dort Gründungen und Ausgründungen einfacher möglich werden sollen. Diese sollen durch einen „Zukunftsfonds Europa“ auch vereinfacht an Wagniskapital gelangen. Eine europäische Sprungagentur soll Innovationen vorantreiben und das Horizont Europa-Forschungsprogramm einen Schwerpunkt im Bereich IKT erhalten. Europa digital autark zu machen ist erklärtes Ziel der Liberalen, durch besseren Datenschutz, bessere Datensicherheit, Kryptografie, und eine europäische Cyberabwehr. Beim Urheberrecht bleibt die FDP unklar, will technologische Lösungen. Ausdrücklich ist sie gegen ein europäisches Netzwerkdurchsetzungsgesetz und gegen Uploadfilter und für das Prinzip der Netzneutralität. Sie fordert einen EU-weiten elektronischen Ausweis-Standard und eine wettbewerbsrechtliche Prüfung, ob der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk private Angebote im digitalen Zeitalter behindere. Zugleich will sie Arte weiter ausbauen und auch verstärkt als Nachrichtensender etablieren.

Übergreifend möchten die Liberalen einen digitalen Binnenmarkt, der auf rechtlicher und technischer Einheitlichkeit basiert. Ordnungspolitisch warnt sie vor einer EU-Digitalsteuer und will diese Diskussion auf Ebene der G20 und OECD führen.


Die Linke

Grundsätzlich ist die Kritik der Linken an der EU-Digitalisierungsstrategie: diese sei „ausschließlich auf den europäischen Binnenmarkt fixiert“. Sie fordert Investitionen und eine „politische Steuerung“ der Digitalisierung, einen „Neustart“. Dieser soll auf einem „Dreiklang von Netzneutralität, Datenschutz und einem modernen Urheberrecht“ basieren. Bei letzterem lehnt die Linke Uploadfilter ab. Die Partei fordert eine Digitalisierungstrategie von EU bis Kommune – allerdings ohne konkreter zu werden.

Der Linkspartei schwebt auch im digitalen Raum eine „solidarische Ökonomie“ vor. Gerechte Digitalisierung, das heißt für die Linkspartei ganz konkret: Plattform-abhängige Tätigkeiten machten ein Update der Definition von Betrieb und Arbeitnehmer notwendig. Pflegeroboter sieht die Linke als Pfleger zweiter Klasse, es müsse stattdessen einen Anspruch auf Pflege durch Menschen geben. Digitale Hardware müsse fair produziert sein.

Digitale Infrastruktur soll – wie sieben andere Felder – dem Markt entzogen werden. Die Linke will flächendeckende digitale Teilhabe, unter anderem durch „einen flächendeckenden Ausbau des G5-Netzes“ (da es sich bei G5 um einen im Car2X-Bereich relevanten Standard handelt, darf man davon ausgehen, dass sie 5G-Mobilfunkdatennetze meint). Eine europäische Aufsicht soll die Netzneutralität in diesen Netzen sicherstellen.

Ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz lehnt die Linke ab – die Plattformbetreiber seine nicht als Richter über Inhalte geeignet. Urheberrechtlich verfolgt die Linke das Prinzip der digitalen Allmende. Die Schutzfähigkeit von Datenbanken will die Linke wieder abschaffen, amtliche Werke sollen umfassend geregelt werden.

Plattformanbieter sollen zum Anbieten „offener stabiler Serviceschnittstelle mittels offener Standards“ verpflichtet werden. Mit diesen Interoperabilitätsverpflichtungen sollen Lock-In-Effekte geschwächt und zugleich Netzwerkeffekte erhalten werden.

Steuerrechtlich fordert die Linke eine Änderung der Abschreibungsregeln für Immaterialwerte, einheitliche europäische Steuerregelungen für Forschungsausgaben, die Einführung virtueller Betriebsstätten, die Einführung einer Digitalsteuer als Zwischenschritt – sie soll „sich am Unterschied der durchschnittlichen Besteuerung von Firmen zu der von Internetkonzernen bemessen“.

Digitale Technik, die mit Waffen vergleichbar in Konflikten eingesetzt oder zur Überwachung eingesetzt werden könnte, soll mit einem Exportverbot belegt werden. Bei der Cybersicherheit setzt die Linkspartei auf unabhängige Zertifizierung und Updatepflichten: sie will „ein »Mindesthaltbarkeitsdatum« eines Geräts und eine Updategarantie von mindestens drei Jahren“ für Endgeräte. Dort wo staatliche Stellen von Sicherheitslücken Kenntnis erlangen sollen sie – statt diese für eigene Zwecke zu nutzen – zur umgehenden responsible disclosure (üblicherweise gegenüber dem Hersteller) verpflichtet werden.

Die Linke lehnt die Speicherung von Fluggastdaten auf Vorrat (wie sie in Deutschland seit September 2018 durchgeführt wird) so wie jede andere Vorratsdatenspeicherung ab. Sie fordert einen starken europäischen Datenschutz und sieht die Datenschutzgrundverordnung hier als unzureichend an. Einen Datenbinnenmarkt lehnt die Linke ab. Sie fordert einen starken Beschäftigtendatenschutz und einen stärkeren Verbraucherdatenschutz. Die EU-US „Privacy Shield“-Vereinbarung lehnt die Linke als unzureichend ab. Ein – derzeit nicht realistisches – „internationales Datenschutzsystem“ soll das Ziel sein. Erreichbarer erscheint da die Forderung nach der ePrivacy-Verordnung. Datenaustausch zwischen Nachrichtendiensten, Polizeien und Militär will die Linke strikter Gewaltenteilung folgen lassen, Strafverfolgungsbehörden bräuchten klare rechtliche Vorgaben und die Bürger mehr Abwehrrechte.


SPD

Umfangreich sind die Punkte, aber sowohl was den vorgeschlagenen Regelungsgehalt als auch die Detailtiefe der Vorschläge angeht sind die digitalpolitischen Elemente im Europawahlprogramm der SPD bunt gemischt.

Die Partei legt einen Schwerpunkt auf das Thema Besteuerung – insbesondere auch „digitale Großkonzerne“ sollten einen angemessenen Anteil am Steueraufkommen leisten. Hierfür sollen die europaweite Konsolidierung der Körperschaftssteuersätze und globale Mindeststeuersätze herbeigeführt werden. Sofern die globale Lösung für Mindeststeuersätze unrealisierbar wird, soll eine europäische Lösung diese vorwegnehmen.

Bei der Digitalisierung der Arbeitswelt fordert die SPD eine Beteiligung der Arbeitnehmer an der digitalen Dividende, Weiterbildungsmöglichkeiten sowie die Verhinderung einer schleichenden Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten, z. B. bei der Flexibilisierung von Arbeitsorten und –zeiten. Dies soll einhergehen mit einem stärkeren Beschäftigtendatenschutz, der angesichts von KI, IoT und Plattformen verändert werden müsse. Konkret ist die Forderung nach einer „EU-Richtlinie zum Schutz von Beschäftigten auf Online-Plattformen“.

Ordnungspolitisch geht die SPD davon aus, dass das „freie und offene Netz“ der politischen Gestaltung der digitalen Gesellschaft bedürfe. Rechtlich verbindliche Regelungen brauche es, um eine offene, freie und demokratische digitale Gesellschaft zu schaffen. Privatsphäre und Kommunikationsfreiheiten müssten auch im digitalen Zeitalter durchgesetzt, Medien-, Meinungs- und Informationsfreiheit sichergestellt werden: „nicht jedwede Kommunikation“ dürfe aus Sicherheits- oder urheberrechtlichen Interessen anlasslos und ohne effektive Kontrolle auf Rechtsverletzungen analysiert werden (à TK-Geheimnis und Infrastrukturneutralität, gegen Upload- und netzbasierte Filter, indirektes Bekenntnis zu Notice-and-Takedown-Prinzip).

Die SPD betont stark, dass es eines dritten Weges bedürfe, um eine positive digitale Gesellschaft zu gestalten (Zwischenweg Silicon Valley einerseits, China andererseits). Es bedürfe „intelligenter und konsequente Regulierung“ und „massiver europäischer Investitionen“, damit Grundrechte auch in Zukunft wirksam sein könnten. Hierzu zählt die SPD auch ausdrücklich die Bereitstellung digitaler Infrastrukturen durch die öffentliche Hand. Zugleich sieht sie die Zurverfügungstellung von schnellen Zugängen im Fest- wie Mobilnetz als private Aufgabe, die sie jedoch über Anreize zu einer europaweiten 100%-Abdeckung bringen möchte.

Datenökonomisch schwebt der SPD die Idee der Datenpools vor: eine Verpflichtung großer Datenverarbeiter zur Bereitstellung anonymisierter, nicht-personenbezogener Daten soll große Monopole aufbrechen, zudem sollen freiwillig zur Verfügung gestellte Daten („Datenspenden“) diese allgemein nutzbaren Pools anreichern. Interoperabilität sieht die Partei vor allem im Bereich der Bezahl- und Sprachsteuerungssysteme als zwingend an.

Mobile Endgeräte sollen nach SPD-Vorstellungen mindestens vier Jahre nach Verkaufsstart Sicherheitsupdates erhalten, dies geht zusammen mit dem Vorschlag einer Haftung für die Hersteller vernetzter Geräte. Auch die Unabhängigkeit der IT-Sicherheitsbehörden soll dabei gestärkt werden. Insgesamt scheint das Haftungsrecht für die SPD spannend: auch „Programmierfehler und unzureichende Verschlüsselungen“ sollen aus ihrer Sicht eindeutig Teil der Herstellerhaftung sein.

Beim Datenschutz und dem TK-Geheimnis spricht sich die SPD für eine schnelle, abschließende Behandlung der seit 2016 überfälligen e-Privacy-Verordnung aus. Diese solle besser vor Tracking schützen, genau wie die Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation hierdurch gestärkt werden solle.

Algorithmen sollen internationalen ethischen Kriterien genügen, so die SPD, in Verbraucherbeziehungen will sie Nachvollziehbarkeit und Transparenz sicherstellen und „unabhängige staatlich-legitimierte Kontrollinstitutionen einführen“. Gesetzlich geregelt werden sollen individualisierte Preise und verhaltensabhängige Versicherungstarife. Onlinemarktplätze sollen ihre Sortierungs-Kriterien gegenüber Nutzern transparent darlegen, Online müsse es für Alltagsgeschäft anonyme Bezahlmöglichkeiten in dem Maße geben, wie es diese auch bei Bargeld möglich sei.

Etwas unscharf geraten scheint derweil die Forderung nach „einer europäischen Einrichtung“, die „technologische Lösungen zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme“ zu sein, bei der Wert auf eine gleichberechtigte Beteiligung zivilgesellschaftlicher Stimmen gelegt werden soll.


CDU/CSU

Digitalisierung müsse den Menschen dienen, heißt es im gemeinsamen Europawahlprogramm von CDU und CSU. Bürger und Unternehmen, Forschung und Entwicklung, alle sollen fit werden für die Zukunft. KI und verantwortungsvolles Big Data scheinen für die Unionsparteien Schlüsselbereiche hierfür zu sein.

Während die FDP einen „Zukunftsfonds Europa“ forderte, der in diese Segmente investieren soll, ist das Vehikel der Wahl bei den Unionsschwestern ein „Europäischer Zukunftsfonds“, der bessere StartUp-Förderung ermöglichen soll. Die Unionsparteien wollen eine einheitliche europäische StartUp-Definition. „Horizont Europa“, das kommende EU-Forschungsrahmenprogramm, soll „Future made in Europe“ sicherstellen und als „Innovationsbudget“ fungieren.

Europas Medienangebote wollen die Unionsparteien besser vernetzen – es brauche „europäische Digitalplattformen“, die unter anderem auf Inhalten der Öffentlich-Rechtlichen basieren müssten. Eigentlich nicht mehr EU-Recht, aber europäisches Thema: Die Umsetzung der bis zuletzt umstrittenen EU-Urheberrechtsrichtlinie wird im Europawahlprogramm insoweit eingeschränkt, dass versprochen wird, dass es „nicht zu Upload-Filtern kommt“.

Digitalisierung der Landwirtschaft spielt auch bei CDU/CSU eine Rolle: sie wird als Unterstützung für einen ressourcenschonenden, umweltfreundlichen Einsatz gesehen. Konkrete Regelungsbedarfe sind hierzu nicht niedergeschrieben.

Eher ein Nebensatz ist die Anmerkung im Unionsprogrammsabschnitt zu internationalen Handelsabkommen, dass „Unternehmen im digitalen Bereich vor Spionage, Sabotage und Cybercrime“ geschützt werden müssten.

Auch die Unionsparteien beziehen bei der Frage einer fairen Besteuerung Position: Alle Unternehmen sollten ihren Anteil zahlen. Die Union setzt dabei auf das Konzept der virtuellen Betriebsstätte sowie eine einheitliche Körpersteuerbemessungsgrundlage um ein innereuropäisches Race-to-the-Bottom zu verhindern.

Im Rahmen strategischer Förderung wollen die Unionsparteien „Europäische Champions“ schaffen. Die Formulierungen zum Thema Datenökonomie sind primär Ausdruck des Anerkennens der Wichtigkeit der Thematik Daten, diese wolle man nutzen und die Nutzung fördern, insbesondere bei IoT und Industrieautomatisierung. Die Datenschutzgrundverordnung soll bei ihrer Evaluation innovationsoffener und „für Mittelstand, Gründer und Ehrenamtler anwendungsfreundlicher“ werden.

Nicht ausgeführt wird der Wunsch nach einer „europäischen Digitalplattform für smarte Anwendungen und künstliche Intelligenz“, die in europäischer Gemeinsamkeit zu digitaler Unabhängigkeit führen soll.

Es brauche mehr Tempo bei der Digitalisierung in Europa, ein „europäisches 5G-Mobilfunknetz“ und „einheitliche IT-Datenstandards“.

Datenbanken und intelligente Überwachung sollen Ein- und Ausreisebewegungen an den EU-Außengrenzen besser kontrollieren helfen, die „Datentöpfe“ der Sicherheitsbehörden und der EU-Agenturen untereinander kompatibel und für die Sicherheitsbehörden der Mitgliedsländer verfügbar gestaltet werden.


B90/Die Grünen

Die erste tiefere inhaltliche Berührung der Grünen mit Digitalpolitik findet sich im Kontext Unternehmenssteuern: eine „am Umsatz orientierte europäische Digitalsteuer“ soll eine fairere Steuerlastverteilung herbeiführen. Eine gemeinsame Körperschaftssteuer von Deutschland und Frankreich sei ein erster Schritt, auf eine europaweit konsolidierte Bemessungsgrundlage soll dann eine einheitliche europäische Unternehmenssteuer inkl. Mindeststeuersätzen folgen. Die Grünen sehen hierin auch eine Schutzwirkung für europäische Digitalunternehmen. Digitale Plattformen sollen zudem streng reguliert werden, bloß wie dies genau geschehen soll, verraten die Grünen derweil nicht. Facebook, Whatsapp und Instagram sollen nach Meinung der Grünen wieder entflechtet werden. Zudem stellen sie eine weitgehende Forderung nach standardisierten, interoperablen Schnittstellen für Plattformen auf.

Wettbewerbspolitisch plädieren die Grünen für ein europäisches Kartellamt, das zugleich als „Digitalaufsicht“ agieren soll und nicht nur bei innereuropäischer Fusionskontrolle sondern auch bei global entstehender Marktmacht mit Rückwirkungen für Europa agieren soll, bei der auch nicht wettbewerbliche Kriterien einbezogen werden sollen.

Auch die Grünen suchen in Abgrenzung zum US-Modell und China nach einem europäischen Weg der Digitalisierung: dieser solle von Menschenrechten geleitet sein, und Offenheit und Nachhaltigkeit unterstützen. Dies findet sich auch darin wider, dass die Grünen die Europäische Grundrechtecharta für überarbeitungsbedürftig erachten – diese solle dann auch „uneingeschränkt … in der digitalen Sphäre durchgesetzt werden“. Zugleich fordern sie eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit den US-amerikanischen Bundesstaaten und der US-Zivilgesellschaft.

Der Anspruch der Grünen ist dabei klar formuliert: Digitalisierung soll demokratisch, ökologisch, sozial und feministisch gestaltet werden. Grundpfeiler dafür sind eine „echte Netzneutralität, freie und überprüfbare Software, offene Schnittstellen, Interoperabilität“, „fairer Wettbewerb“, ein starker Verbraucherschutz sowie ein „Erhalt öffentlicher Güter“.

Im Wahlprogramm ist die Digitalisierung an vielen Stellen als Hilfswerkzeug erwähnt, zum Beispiel bei der zukünftigen Mobilität, bei der nachhaltigen Nutzung industrieller Sekundärrohstoffe. Digitale Barrierefreiheit ist der Partei grundsätzlich wichtig.

Beim Einsatz von Automatisierten Entscheidungsmechanismen (ADM) wollen die Grünen, dass diese „überprüfbar, transparent und diskriminierungsfrei“ agieren. In Kernbereichen des Grundrechtsschutzes fordern die Grünen europaweite, verbindliche Vorgaben. Im Datenschutz plädieren auch die Grünen für eine zügige und zugleich möglichst verbraucherfreundliche E-Privacy-Verordnung, die Privacy by default und Privacy by Design als Anforderungen verbindlich definiert – inklusive Do Not Track.  Bei der Datensicherheit wollen die Grünen verbindliche Mindeststandards, Kryptografie, Verpflichtungen zu Softwareupdates, eine Klärung des Haftungsrechts in Richtung Softwareherstellerhaftung. Dies alles ist Mittel zur Wahrung der technischen Integrität der Systeme unter Wahrung der Grundrechte des Einzelnen.

In der digitalen Infrastruktur plädieren die Grünen dafür, die Planung entlang innereuropäischer Grenzen aufzulösen und durch europaweite Umsetzungen zu ersetzen. Sie schlagen eine „europäische Investitionsoffensive“ zum verstärkten Breitbandausbau vor, kombiniert mit Netzneutralitätsauflagen. Sicherheitsauflagen für außereuropäische Akteure sollen in Form eines „investment Screenings“ sollen die Integrität der Infrastruktur sicherstellen.

Digitale Endgeräte sollen mittels eines „Rechts auf Reparatur“ langlebiger werden, energieeffiziente „Green-IT“ soll strategisch gefördert und für die europäische Verwaltung verpflichtend zu nutzen sein. Insbesondere auf OpenSource-Software und OpenHardware-Ansätze ruhen die Hoffnungen, zu schnell skalierenden Lösungen zu gelangen.

Bei digitalen Öffentlichkeiten legen B90/Die Grünen einen Schwerpunkt auf mögliche illegale Einflussnahme auf demokratische Meinungsbildungsprozesse. Die Partei fordert strenge Regulierung politischer Werbung im Netz und eine Kennzeichnungspflicht für Bots.

Bei der Digitalisierung der Arbeitswelt möchten die Grünen „guten Arbeitsschutz“ sowohl für abhängig Beschäftigte wie auch Selbständige erreichen und die erwartete Digitalisierungsdividende allen Beteiligten zukommen lassen.

Im Urheberrecht fordern die Grünen auf der einen Seite eine stärkere internationale Zusammenarbeit zur Rechtsverfolgung bei kriminellen Anbietern und neue Pauschalabgabe für legale Anbieter, auf der anderen Seite sehen sie aber die Rechtsdurchsetzung gegenüber Einzelnutzern als unverhältnismäßig an. Sie fordern die Einführung einer neuen Urheberrechtsschranke in Form eines „Rechts auf Remix“. Ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger lehnen die Grünen auch weiterhin ab.


Statusupdate – Automatisierte Entscheidungen sind ein wesentlicher Treiber der digitalen Veränderungen. Viele Aspekte der Debatte rund um künstliche Intelligenz sind dabei Teil der größeren Diskussion über Digitalisierung: wie verändern wir die Welt zum Guten? Wie lassen sich technologischer Fortschritt, Werte und Weltsichten miteinander in Einklang bringen? Welche Prämissen sind es, die jenseits technologischer Determinanten eine Rolle spielen? Viele Fragen, für die politische Akteure regelmäßig Antworten finden sollen und müssen. In der Kolumne Statusupdate werden die Entwicklungen der Digitalpolitik beobachtet und kommentiert.

Dieser Beitrag ist in kürzerer Form bereits am 20.05.2019 im Tagesspiegel Background Digitalisierung erschienen.


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