Mit Künstlicher Intelligenz (KI) mal kurz die Demokratie retten? Per Taube durch die KI-Nachhaltigkeits-Galaxie? Oder doch vielleicht ausgestorbene Meeresorganismen dank Robotik wiederbeleben? In der heutigen Erlesenes-Ausgabe widmen wir uns all diesen Fragen. Die gute Nachricht vorweg: Menschlicher Humor schlägt nach wie vor Künstliche Intelligenz – zumindest im digitalen Diskurs. Die schlechte: Bei Clickworkern im globalen Süden, die das Säubern von Trainingsdaten großer KI-Modelle übernehmen, bleibt aber nach wie vor viel Luft nach oben für menschliche und faire Arbeitsbedingungen.

Außerdem: weitere offene Briefe zum jüngst verabschiedeten AI Act.

Viel Spaß beim Lesen wünschen  
Asena und Teresa 

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Die Meinungen in den Beiträgen spiegeln nicht zwangsläufig die Positionen der Bertelsmann Stiftung wider. Wir hoffen jedoch, dass sie zum Nachdenken anregen und zum Diskurs beitragen. Wir freuen uns immer über Feedback – der Newsletter lebt auch von Ihrer Rückmeldung und Ihrem Input. Melden Sie sich per E-Mail an teresa.staiger@bertelsmann-stiftung.de, bei LinkedIn unter @reframe[Tech] – Algorithmen fürs Gemeinwohl oder bei Bluesky unter @reframetech.bsky.social.


Zurück von den Toten

Researchers resurrect long-extinct fossil creature as a robot, Ars Technica, 22.3.2024

Robotik ist ein faszinierendes Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, allerdings eher selten Thema in Erlesenes. Dieser Artikel zeigt uns aber einen interessanten Einblick, wie Robotik in einer wissenschaftlichen Nische eingesetzt werden kann: Wissenschaftler:innen haben einen ausgestorbenen Meeresorganismus namens Pleurocystitid mithilfe von Soft-Robotik und Paläontologie als Roboter „wiederbelebt“. Dieser Roboter, genannt „Rhombot“, ermöglichte es den Forscher:innen, die Bewegung und biomechanischen Eigenschaften des Pleurocystitids – verwandt mit den heutigen Seesternen –  zu untersuchen. Der Organismus spielte eine wichtige Rolle in der Evolution, da er möglicherweise der erste Stachelhäuter war, der sich bewegen konnte. Bisher gab es dafür aber keine fossilen Beweise und die Wissenschaft wusste nicht, wie der Organismus sich fortbewegt hat. Die Studie legt nun damit den Grundstein für ein neues Forschungsfeld, die Paleobionik, welches sich mit Robotik zur Rekonstruktion ausgestorbener Lebensformen beschäftigt. Die Forscher:innen hoffen, dass ihre Arbeit zu weiteren Studien in diesem Bereich inspiriert und neue Erkenntnisse über die Bewegung und Evolution von ausgestorbenen Organismen liefert.


Von Tauben über KI und Nachhaltigkeit lernen

A Pigeon’s Tale – A Comic Essay on AI and Sustainability, pigeonstale.ai

Eine Lektüreempfehlung der anderen Art: Dieses Essay in Form eines Comics nimmt uns mit auf die Reise einer Taube und bringt uns, dank charmanter und leicht verständlicher Illustrationen, die Themen Künstliche Intelligenz (KI) und ökologische Nachhaltigkeit näher. Die Taube führt uns durch verschiedene Bereiche, in denen KI sinnvoll für mehr Nachhaltigkeit eingesetzt werden kann. Sie zeigt, wie verbesserte Wettervorhersagen, optimierte Erntezeiten und effizientere Stromnutzung durch KI möglich sind. Doch es werden auch die problematischen Auswirkungen von KI auf die Umwelt aufgezeigt, wie beispielsweise der hohe Ressourcenverbrauch für das Training, den Betrieb und die Kühlung von KI-Systemen sowie der Raubbau an seltenen Erden. Der sogenannte Rebound-Effekt, bei dem die effizientere Nutzung der Energie die Produktion erhöht wird, es dadurch zu mehr Nutzung/Konsum kommt und der die ursprünglichen Energieeinsparungen zunichtemacht, wird ebenfalls thematisiert. Der Comic endet mit dem Plädoyer, menschliche und künstliche Intelligenz sinnvoll zu verbinden und dazu beizutragen, dass unser Planet innerhalb seiner Grenzen bleibt und sich sogar regeneriert.


Menschlicher Humor schlägt KI
Can AI Rescue Democracy? Nope, it´s Not Funny Enough, TechPolicy.Press, 11.3.2024

Fast jede zweite Person in Deutschland (49 Prozent) wurde schon einmal online beleidigt. Das zeigte eine erst kürzlich erschienene repräsentative Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Hassrede ist Gift für den Diskurs im Netz. Gegen Hassrede anzukämpfen, ist für Betroffene oft sehr mühsam und zeitintensiv, das „Gegenreden“ aber unerlässlich. Könnte Künstliche Intelligenz (KI) hier eine Lösung sein und unterstützen? Ja, meinen die Autor:innen Susan Benesch und Cathy Buerger vom „Dangerous Speech“-Projekt, die dieser Frage in einer anderen Studie nachgingen. Erfahrene „Gegenredner:innen“ könnten von einer KI profitieren, die ihnen dabei hilft, entsprechende Inhalte zu suchen, auf die sie reagieren sollten. Dadurch könnten sie diesen Inhalten effizienter gegenreden. Unerfahrene Gegenredner:innen könnten auch einen KI-Coach nutzen, der ihnen Vorschläge zur Gegenrede unterbreitet und so die Hemmschwelle zum Antworten senkt. Was die KI aber nicht machen kann: den Menschen ersetzen. Der Grund dafür: KI ist nicht witzig genug. Humor bleibt eine komplexe menschliche Fähigkeit und das Erkennen von vordefinierten Mustern kommt an menschliche Originalität und Kreativität nicht heran. Wie witzige Gegenrede aussehen kann, zeigt laut den Autor:innen der Journalist Hasnain Kazim in seinem Buch „Post von Karlheinz: Wütende Mails von richtigen Deutschen und was ich ihnen antworte“.


Bad Practice

Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß?

KI-Arbeiter in Kenia: „Die Arbeitsbedingungen in Kenia sind erbärmlich“, Netzpolitik.org, 13.3.2024

Trotz hoher Umsätze – bei OpenAI zuletzt zwei Milliarden US-Dollar – verbessert sich nach wie vor nichts bei den Arbeitsbedingungen der Menschen, die für diese Unternehmen im globalen Süden arbeiten und einen essenziellen Beitrag  (Erlesenes berichtete) für deren Gewinn leisten. Mophat Okinyi, kenianischer Menschenrechtsaktivist und Gewerkschafter, kritisiert im Interview diese Zustände und fordert gerechtere Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen. Ein Problem dabei:  Die politische Ebene in Kenia hat ein Interesse daran, die westlichen Unternehmen zu halten. Dadurch werden unethische Praktiken geduldet und schlechte Arbeitsbedingungen gar nicht erst untersucht. Er bemängelt auch das fehlende Bewusstsein insbesondere von westlichen Nutzer:innen, die die Endprodukte oft feiern, ohne die entscheidende Rolle von Datentrainer:innen und Arbeiter:innen für Methoden des maschinellen Lernens zu berücksichtigen. Sein Appell:  anzuerkennen, dass die Entwicklung von KI stark von der Arbeit und dem Fachwissen von Menschen abhängt, die zur Datenverarbeitung, -kommentierung und -verfeinerung beitragen und damit denselben Respekt wie  KI-Entwickler:innen verdienen.


Regulierung

Der AI Act und seine Mängel/Unzulänglichkeiten

Offener Brief: Menschenrechte schützen – Biometrische Fernidentifizierung verbieten, D64, 13.3.2024

Letzte Woche hat das Europäische Parlament den AI Act verabschiedet. Damit gibt es nun in der EU bindende Leitplanken, die es in der Entwicklung und dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu beachten gilt. Darüber, dass es diese Regulierung braucht, waren sich viele Akteur:innen einig (Erlesenes berichtete), allerdings gibt es nach wie vor Unzufriedenheiten zu unterschiedlichen Themen. So kritisieren zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen wie EDRi (European Digital Rights) in einem offenen Brief, dass der AI Act Migrant:innen und Menschen auf der Flucht nicht ausreichend schützt. Aus Deutschland kommt ein weiterer offener Brief: Zivilgesellschaftliche Organisationen wie D64, Algorithm Watch und LOAD  e.V. fordern die Mitglieder des Deutschen Bundestages auf, ein vollständiges Verbot der biometrischen Überwachung in Deutschland durchzusetzen und berufen sich dabei auf den Koalitionsvertrag. Die Organisationen unterstreichen, dass obwohl der AI Act grundsätzlich die biometrische Überwachung im öffentlichen Raum verbietet, er dennoch viele Ausnahmen zulässt, die eine Ausweitung der öffentlichen Überwachung ermöglichen und Freiheitsrechte einschränken.


Follow-Empfehlung: Brian Merchant

Brian Merchant ist Autor und Technologiejournalist, der unter anderem über Automatisierung, Arbeit und die Auswirkungen der Technologie auf die Umwelt schreibt.


Verlesenes: Akademische Red Flag


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