Der gemeinwohlorientierte Einsatz von algorithmischen Systemen und Künstlicher Intelligenz (KI) wird von vielen in der Freien Wohlfahrtspflege als strategisch relevantes Thema angesehen. Aktuell fehlt es jedoch häufig an Anwendungsideen und Umsetzungskompetenz. Ein „Tech-Fellowship für die Wohlfahrt“ kann dabei helfen.

Algorithmische Entscheidungssysteme sollten verstärkt eingesetzt werden, um das Gemeinwohl zu stärken. Aber was bedeutet das konkret? Die Schuldner:innenberatung könnte verbessert, Übersetzungen in Leichte Sprache könnten vereinfacht, Stürze älterer Menschen frühzeitiger erkannt und Kitaplätze fairer verteilt werden. So könnte mehr Fürsorge, Vorsorge und Teilhabe in den Arbeitsfeldern der Freien Wohlfahrtspflege entstehen. Doch die Chancen, die sich durch den Technologieeinsatz bieten, bleiben bislang weitgehend ungenutzt.

Dies liegt zum einen daran, dass es der Freien Wohlfahrtspflege oftmals an Ressourcen für die Infrastruktur von Informationstechnologie (IT) oder für konkrete Digitalisierungsprojekte mangelt. Zum anderen fehlen vielen Mitarbeitenden bislang Ideen und Kompetenzen, wie sie die technologischen Möglichkeiten sinnvoll für ihre Arbeit einsetzen könnten. Dieser Zustand sollte sich schnellstmöglich ändern, da die Wohlfahrt als gemeinnützige Akteurin prädestiniert dafür ist, Technologie gemeinwohlorientiert einzusetzen und dadurch einen Mehrwert für ihre Arbeit und ihre Zielgruppen zu schaffen. Vor diesem Hintergrund wollten wir herausfinden, welche konkrete Maßnahmen dazu beitragen können, die Potenziale algorithmischer Systeme in der Wohlfahrt zu heben.

„Tech-Fellowship für die Wohlfahrt“ als wirkungsvolles Instrument

In der Studie wurden verschiedene Instrumente analysiert, durch die die Wohlfahrt die Potenziale von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz für ihre Mission besser nutzen und die dafür nötigen Kompetenzen bei ihren Mitarbeitenden aufbauen kann. Als besonders attraktiv hat sich ein sogenanntes „Tech-Fellowship für die Wohlfahrt“ erwiesen, bei dem Expert:innen aus der Wohlfahrt zusammen mit IT-Expert:innen konkret Softwareprodukte entwickeln. Dieses Vorgehen ermöglicht, dass bedarfsgerechte Anwendungsfälle identifiziert werden, eine Eins-zu-eins-Begleitung sichergestellt ist, Mitarbeitende der Wohlfahrt neue Kompetenzen direkt anwenden können und aus Piloten gelernt werden kann. Dass Fellowships eine nutzer:innenzentrierte Softwareentwicklung ermöglichen kann, zeigt das seit 2018 durchgeführte „Tech4Germany-Fellowship“ für Bundesbehörden, das dem konzipierten „Tech-Fellowship für die Wohlfahrt“ als Vorbild diente.

Aktuell wird viel diskutiert: Welche Potenziale bieten Algorithmen und KI in der Freien Wohlfahrtspflege? Mit dem Tech-Fellowship gibt es nun einen Ansatz, um diese Technologien in der Praxis zu erproben und herauszufinden, wo sie einen Mehrwert stiften können.

Susanne Bruch & Kassandra Becker, work forward

Konkrete Anwendungsideen vorab über eine Explorationsphase identifizieren

Da es bisher an konkreten und bedarfsorientierten Anwendungsideen für den Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz in der Wohlfahrt fehlt, sollte vor einem Fellowship eine sogenannte Exploration stattfinden. Während dieser lernen IT-Expert:innen durch teilnehmende Beobachtung (sogenanntes „Shadowing“) in Einrichtungen, durch Interviews und Workshops Arbeitsfelder der Wohlfahrtspflege kennen und entwickeln zusammen mit den Mitarbeitenden konkrete Anwendungsideen. Die Qualität und das Potenzial identifizierter Anwendungsideen sollte eine möglichst diverse Gruppe an Expert:innen bewerten. Relevante Kriterien könnten sein, dass die Ideen in wenigen Monaten als Produkt umsetzbar sowie wirkungsorientiert, skalierbar und refinanzierbar sind. Ideen, die diese Voraussetzungen erfüllen, würden sich für das anschließende Fellowship qualifizieren.

Ein Fellowship funktioniert nur in Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Im hier beschriebenen Falle würden Personen mit Wissen und Kompetenzen im Bereich Algorithmen und KI (IT-Fellows) mit Personen aus der Freien Wohlfahrtspflege – wie Sozialarbeiter:innen oder Pädagog:innen – zusammenkommen. Gemeinsam würden sie softwarebasierte Lösungen für bestehende Probleme in Arbeitsfeldern der Freien Wohlfahrtspflege entwickeln, die durch die Exploration identifiziert wurden. Ziel des Fellowships sollte sein, eine erste nutzbare Produktversion („Minimum Viable Produkt“) zu entwickeln sowie einen Plan mit den nächsten Schritten zum Ausrollen des Produkts. Parallel sollte ein Begleitprogramm Austausch- sowie Weiterbildungsmöglichkeiten sowohl für das Projektteam Wohlfahrt als auch für die IT-Fellows ermöglichen.

In der richtigen Vorbereitung liegt der Schlüssel

Gespräche mit Wohlfahrtsverbänden wie potenziellen IT-Fellows zeigen, dass einige grundlegende Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein solches Fellowship attraktiv und wirkungsvoll sein kann. Für die Wohlfahrtsverbände müssen vor allem die Mehrwerte klar herausgestellt, der Ressourceneinsatz überschaubar und planbar sein, Zeit für Gremienprozesse eingeplant werden sowie sichergestellt sein, dass Unterstützung bei der Projektsteuerung, im Umgang mit Daten und bei rechtlichen Fragen zur Verfügung gestellt werden kann. Den IT-Fellows ist wichtig, dass es klar formulierte und spannende Aufgaben mit Impact gibt, die Datenverfügbarkeit sichergestellt ist und Datenschutzfragen frühzeitig geklärt werden können. Ebenso ist entscheidend, dass konsequent Open Source gearbeitet werden kann und erfahrene Mentor:innen für Sparring erreichbar sind.

Beteiligen Sie sich an der Umsetzung!

Wir sind überzeugt: Die Freie Wohlfahrtspflege kann einen bedeutenden Beitrag dazu leisten, dass Algorithmen und KI gemeinwohlorientiert entwickelt und eingesetzt werden. Um diese Überzeugung in die Praxis umzusetzen, scheint ein „Tech-Fellowship für die Wohlfahrt“ ein wirkungsvoller Schritt zu sein. In den nächsten Monaten wollen wir daher dieses Instrument zusammen mit Partner:innen pilotieren. Ein solches Fellowship braucht tatkräftige Unterstützung aus vielen Bereichen. Daher melden Sie sich gerne bei uns, wenn Sie Interesse an der Umsetzung haben, genauso wie an einer Teilnahme. Wir veröffentlichen diese Studie bereits vor der Pilotierung, weil wir einen offenen Lernprozess fördern und auch gerne Resonanz, konstruktive Kritik sowie Unterstützer:innen in den weiteren Prozess einbinden möchten. Wir freuen uns also über Ihre Rückmeldungen!


Dieser Text ist lizenziert unter einer  Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.