Der Ausbau von Fahrradwegen ist ein Eckpfeiler der Mobilitätswende, kommt jedoch oft nur schleppend voran. Wie mittels eines Algorithmus die optimale Erweiterung von Fahrradnetzen simuliert werden kann, zeigt das Tool GrowBike.

Eine der größten Herausforderungen, mit denen sich insbesondere Städte konfrontiert sehen, ist die Mobilitäts- oder Verkehrswende. Darunter wird der politische, gesellschaftliche, aber auch technologische Prozess zum Umstieg auf nachhaltige Transportmittel verstanden. Nachdem in der Vergangenheit das Vorrecht des Autos städtische Infrastrukturprojekte maßgeblich dominiert hat, ist ein langsamer Wandel hin zu einem größeren Fokus auf nicht motorisierte Verkehrsmittel zu beobachten – wie dem Fahrrad.

Zentral in dem Kontext der Mobilitätswende ist demnach die Entwicklung neuer Fahrradwege. Trotz des großen Bedarfs an mehr Fahrradwegen verläuft der Genehmigungs- und Bauprozess in vielen deutschen Städten jedoch sehr schleppend. Und das ist bei Weitem nicht das einzige Problem: Fahrradwege werden in vielen Städten willkürlich gebaut, wie eine Forscher:innengruppe der Universität Kopenhagen nachgewiesen hat. Was wiederum dazu führt, dass das Tempo des Fahrradnetzausbaus gebremst wird, da ohne klare Strategie größere Kontroversen darüber entstehen, wo gebaut wird. Zudem entsprechen die erschlossenen Fahrradstrecken nicht immer der größten Notwendigkeit oder Nachfrage. Unterbrochene Streckenteile, die bei einem tendenziell eher willkürlichen Bau von Fahrradstrecken häufiger auftreten, stören wiederum den Verkehrsfluss und mindern die effiziente Nutzung der Radwege.

 

Wachstumsstrategien als entscheidender Erfolgsfaktor bei der Planung von Fahrradwegen

Wie die Forscher:innen der Universität Kopenhagen nachgewiesen haben, lohnen sich Investitionen in neue Fahrradwege erst dann wirklich, wenn ein kritischer Grenzwert erreicht wurde. Es müssen erst hohe Investitionen getätigt werden, bevor die Qualität des Fahrradnetzes wirklich steigt. Unter Qualität wird in diesem Kontext die Summe der Länge der einzelnen Fahrradwege, der Streckenabdeckung über die ganze Stadt, der Anzahl der verbundenen Fahrradwegabschnitte und der sogenannten Direktheit der Route verstanden. Direktheit ist hierbei die wichtigste Kennzahl für Qualität und bezieht sich auf die Minimierung von Umleitungen, um Fahradfahrer:innen einen möglichst direkten Weg von A nach B zu ermöglichen.

Erst wenn ein kritischer Wert abhängig von der Größe der Stadt und ihrem Straßennetz erreicht ist, verbessert sich die Qualität des Fahrradnetzes deutlich. Der Wirkhebel hierbei ist, dass die Streckenabschnitte besser verknüpft werden und ein direkterer Verkehrsfluss gewährleistet wird. Aus diesem Grund sind nach Ansicht der Forscher:innen der Universität Kopenhagen sogenannte Wachstumsstrategien, mit denen neue Fahrradwege geplant werden, der entscheidende Faktor für diese Mobilitätsprojekte. In einer Publikation aus dem Jahr 2022 modellierten die Wissenschaftler:innen drei verschiedene Wachstumsstrategien für 62 Städte und analysierten, welche davon die beste Qualität schaffte.

Die Modellierung von Wachstumsstrategien erfolgte in einem dreischrittigen Prozess: Zunächst wurden auf Stadtkarten an Kreuzungen beliebige Markierungen gesetzt. Dann wurden diese Markierungen unter Anwendung dreier verschiedener Wachstumsstrategien mithilfe eines je eigenen Algorithmus, der den Eigenschaften der verschiedenen Wachstumsstrategien entspricht, zueinander verknüpft. Die drei identifizierten Wachstumsstrategien zeichnen die folgenden Charakteristika aus:

  • Betweenness: In dieser Wachstumsstrategie entfaltet sich das Fahrradnetz, indem diejenigen Markierungen zuerst miteinander verbunden werden, welche die kürzeste Strecke untereinander haben. Der Zweck dieser Wachstumsstrategie ist es, so schnell wie möglich einen flüssigen Verkehr zu ermöglichen.
  • Closeness: Beginnend mit der am zentralsten gelegenen Markierung auf der Stadtkarte wird das Fahrradnetz über die Einbeziehung der örtlich nächstgelegenen Markierungen erschlossen. Diese Strategie legt besondere Rücksicht auf Örtlichkeit und trägt das Fahrradnetz vom Zentrum ausgehend sukzessive in die Stadtperipherie.
  • Random: Diese Wachstumsstrategie verfolgt keinen klaren Ansatz, da Markierungen zufällig miteinander verbunden werden. Dabei reflektiert sie den tatsächlichen Ausbau von Fahrradwegen in den meisten Großstädten.

 

Wachstumsstrategien von Fahrradwegen

Quelle: Szell et al. (2022): Growing Urban Bicycle Networks. Verfügbar unter: 2107.02185.pdf (arxiv.org)

 

Nicht die Länge von Fahrradwegen ist entscheidend, sondern die Art, wie diese gebaut werden

Nach der Modellierung der drei Wachstumsstrategien für 62 Städte hat das Forscherteam diese miteinander verglichen. Entscheidend bei dem Vergleich ist die Schwelle gewesen, ab der sich die Investitionen in den Ausbau von Fahrradwegen lohnen. Im Gegensetz zur Betweeness- und Closeness-Wachstumsstrategie muss ein viel höherer Investitionsaufwand geleistet werden, wenn der Fahrradwegeausbau random erfolgt. Es muss besonders in der Anfangsphase viel mehr gebaut werden, bis über eine ausreichende Verbindung der einzelnen Streckenabschnitte ein hoher Verkehrsfluss erreicht werden kann. Der Grund dafür ist, dass die Fahrradwege – wie in der Grafik erkennbar – in der Anfangsphase in der Wachstumsstrategie random weniger miteinander verbunden sind. Da die meisten Städte ihr Fahrradwegenetz ohne klare Wachstumsstrategie – also random – ausbauen, sind die Ergebnisse der Modellierung ein Aufruf, die Art und Weise, wie Fahrradwege geplant werden, zu überdenken. Aus dieser Arbeit ergeben sich zwei konkrete Empfehlungen an die Politik: Zum einen ist für den erfolgreichen Ausbau von Fahrradwegen nicht die Länge von Fahrradwegen, sondern die Wachstumsstrategie entscheidend, mit welcher diese gebaut werden. Zum anderen ist es wichtig, dass beständig gebaut wird, damit die kritische Schwelle schnell erreicht wird, ab der sich die Investitionen in eine Fahrradwegeinfrastruktur auszahlen.

Mit dem Ziel, ihre Arbeit zugänglich zu machen, hat das Forscher:innenteam der Universität Kopenhagen unter growbike.net ein Tool entworfen, mit dem sich Interessierte Fahrradwege für eine Vielzahl von europäischen Großstädten selbst modellieren. Das hier vorgestellte Projekt baut zwar keine Fahrradwege, erweitert jedoch unsere Möglichkeitsräume dazu, wie eine nachhaltige, fahrradfreundliche Stadt von morgen aussehen könnte.


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