Die allgemeine Sorge, wir seien in einem Zeitalter des Postfaktischen angelangt, ist groß. Doch die Ergebnisse einer neuen Studie Fakten statt Fakes der Stiftung Neue Verantwortung lassen aufatmen: Fake News erzielten im Bundestagswahlkampf 2017 im Vergleich zu Nachrichten klassischer Medien nur überschaubare Reichweiten. Eine Entwarnung geben die Autoren jedoch nicht. Denn die Studie zeigt auch, dass rechte Populisten die Echokammern Sozialer Medien strategisch zu nutzen wissen und die Verbreitung falscher Inhalte gezielt einsetzen.

Die Struktur unserer Öffentlichkeit hat sich radikal geändert. In der Masse an Nachrichten und Inhalten, die konstant produziert werden, kommt algorithmisch sortierten Sozialen Netzwerken und Suchmaschinen eine immer größer werdende Rolle zu. Durch den digitalen Wandel sind häufig die am sichtbarsten, die am lautesten schreien – unabhängig vom Wahrheitsgehalt ihrer Botschaften.

Unser Arbeitspapier „Digitale Öffentlichkeit. Wie algorithmische Prozesse den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen hat diese und andere strukturellen Veränderungen und empirischen Befunde bereits vor einigen Monaten zusammengetragen. Es zeigt auch, dass algorithmische Prozesse für mehr als die Hälfte aller Onliner in Deutschland einen Einfluss darauf haben, wie und welche Angebote redaktioneller Medien sie in der digitalen Sphäre wahrnehmen.

Die neue Studie der SNV war daher dringend nötig. Sie liefert fundierte Empirie und Hintergründe zum Phänomen Fake News in Deutschland. In den sechs Monaten vor der Bundestagswahl am 24. September 2017 analysierten Alexander Sängerlaub, Miriam Meier und Wolf-Dieter Rühl anhand von 10 deutschen Fake News-Fällen die an der Verbreitung beteiligten Akteure, Reichweiten und Gegenmaßnahmen. Auf die Frage nach den Auswirkungen von Fake News auf  das Wählerverhalten gibt die Studie keine klare Antwort. Eine durch Alexander Sängerlaub und das Institut für Politik und Sozialforschung, Kantar Public, durchgeführte repräsentative Nachwahlbefragung gibt jedoch Hinweise auf die Effekte von Fake News auf die Wählerinnen und Wähler und erklärt, wie diese mit der Mediennutzung, aber auch dem Vertrauen in Medien und soziodemografischen Faktoren zusammenhängen.

Definition von Fake News, in Abgrenzung zu anderen Phänomenen. Quelle: Sängerlob, Meier, Rühl (2018): Fakten statt Fakes.

Fake News erzielen große Reichweite erst, wenn redaktionelle Medien sie ebenfalls verbreiten. 

Viele Ergebnisse der Studie lassen aufatmen. Sie zeigen, dass Fake News in Deutschland im Vergleich zu redaktionellen Nachrichten klassischer Medien in der Regel nur überschaubare Reichweiten erzielen. Dies ändert sich jedoch, wenn klassische Medien an der Verbreitung von Fake News beteiligt sind – sei es als versehentlicher Multiplikator oder gar als bewusster Verbreiter. Die digitalen Ausgaben der Zeitungen Bild und Welt waren daran laut der Studie auffallend häufig beteiligt.

Die Studie nutzt „Engagement“, also die Summe von Shares, Likes und Comments, als Indikator für die Reichweite der Beiträge. Somit liefert sie keine Erkenntnisse darüber, ob Meldungen auch gelesen oder nur geteilt und kommentiert wurden. Die tatsächliche Reichweite ist als Messwert nicht geeignet, da sie von sozialen Netzwerken und Nachrichtenseiten unterschiedlich erhoben wird, so dass es an Vergleichbarkeit fehlt. Diese grundsätzliche Herausforderung quantitativer Mendienanalysen wird auch durch die Autoren als Einschränkung anerkannt.

Rechtspopulistische Akteure instrumentalisieren Ungenauigkeiten in Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus

Der Studie zufolge wurden Fake News im Untersuchungszeitraum vor allem von Rechtspopulisten und Rechtsextremen verbreitet. Bei sieben der zehn dokumentierten Fälle war die AfD unter den Top-10 der reichweitenstärksten Verbreiter.

Die repräsentative Nachwahlbefragung gibt Hinweise auf die – wenig überraschenden – Ursachen: Wer AfD wählt, hat in der Regel ein geringes Vertrauen in das Mediensystem. Deshalb sind Soziale Medien für sie als Nachrichtenquelle wesentlich bedeutender als bei allen anderen Wählergruppen (16 Prozent der AfD-Wählerinnen und -Wähler nutzen Social Media als Hauptinformationsquelle, unter allen Befragten sind es nur 6 Prozent).

Dabei denken sich die Verbreiter von Falschnachrichten selten komplett neue Inhalte aus. Vielmehr scheint deren Strategie darauf zu beruhen, Sätze aus dem Kontext zu reißen und Ungenauigkeiten bei traditioneller Öffentlichkeitsarbeit und in journalistischen Angeboten zu instrumentalisieren.

Die Reichweiten der Fake News sind wesentlich größer als deren Korrekturen

Viele redaktionelle Medien haben bereits auf das Phänomen reagiert und versuchen ihm etwas entgegen zu setzen. So hebt die Studie Süddeutsche.de und den Faktenfinder der ARD positiv als kritisches Korrektiv und Richtigsteller falscher Informationen hervor.

Diese Gegenmaßnahmen wirken aber nur sehr begrenzt. Fast alle der untersuchten Fake News erzielten eine deutlich höhere Reichweite als die sogenannten Debunkings, über die versucht wird, die falschen Nachrichten zu korrigieren. Dies bestätigt die Ergebnisse internationaler Untersuchungen zum Thema Fake News. Eine kürzlich veröffentlichte, umfangreiche Studie von Forschern des Massachusetts Institute of Technology (MIT) hatte gezeigt, dass unwahre Inhalte beim Kurznachrichtendienst Twitter mit einer um 70 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit von Nutzerinnen und Nutzern weiterverbreitet werden.

Der Grund: Die opaken Algorithmen von Facebook, Google und Co. sind darauf optimiert, Inhalte hochzuranken, die viele Interaktionen hervorrufen. Diese wiederum lassen sich leichter mit emotionalisierenden Nachrichten erzeugen, als mit sachlich ausgewogenen Darstellungen. Bereits in 2012 zeigte eine Studie zweier Wirtschaftsinformatiker der Uni Münster, dass emotional negativ aufgeladene Beiträge auf den Facebook-Seiten von Parteien wesentlich mehr Reaktionen erzeugten als nicht emotional aufgeladene.

Ein weiteres Problem für die Bekämpfung von Fake News: Durch die algorithmische Personalisierung von Informationsuniversen entstehen zwei verschiedene Öffentlichkeiten: Eine Öffentlichkeit, die durch Fake News erreicht wird. Und eine Öffentlichkeit, die durch das Debunking erreicht wird.

Medien, Zivilgesellschaft und Politik in der Pflicht

Die Hoffnung, dass Algorithmen nicht nur den öffentlichen Diskurs verändern, sondern auch bei der Bekämpfung von Fake News unterstützen können, mussten die Autoren der Studie enttäuschen. Automatisierte Identifikation von Fake News oder auch das automatische Hervorheben von Korrekturen seien kaum möglich, weil Falschnachrichten und deren Berichtigungen meist semantisch schwer voneinander zu trennen sind.

Die Aufgabe, einen offenen, demokratischen Dialog auch im Zeitalter der Digitalisierung zu wahren, bleibt also beim Menschen. Bei Medienschaffenden, öffentlichen Institutionen und der Zivilgesellschaft. Die SNV-Studie bietet hier auch ein Positivbeispiel, welches zeigt: Schnelles Handeln durch öffentliche Institutionen ist essenziell. Der einzige analysierte Inhalt, bei dem das Debunking eine größere Reichweite hatte als die Falschnachricht, war eine angebliche Dienstanweisung der Polizei Nordrhein-Westfalen, migrantische Straftaten zu vertuschen. Das Nordrhein-Westfälische Innenministerium entlarvte die Fälschung noch am selben Tag über Twitter.

Korrektur einer Falschnachricht durch das Nordrhein-Westfälische Innenministerium über Twitter

Der Einfluss von Algorithmen auf den öffentlichen Diskurs ist auch durch die Studie der SNV wieder deutlich geworden. Wenn wir die Verbreitung von Unwahrheiten wirksam verhindern wollen, ist es unausweichlich, Leitwerte wie Angemessenheit, Verantwortlichkeit und Kompetenz bei der Entwicklung und Gestaltung algorithmischer Systeme zu verankern. Hier sind zweifellos auch die Betreiber sozialer Netzwerke in der Pflicht. Sie dürfen sich nicht länger als neutrale Plattformen aus der Affäre ziehen, sondern müssen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung viel stärker gerecht werden.