Die Europäische Kommission verlagert ihren KI-Ansatz von Regulierung zu Investitionen – sichtbar vor allem in fünf vorgeschlagenen KI-Gigafabriken (AI Gigafactories, AIGFs). In diesem Policy Brief argumentieren wir, dass die Initiative stärker auf Nachfrage ausgerichtet werden sollte, und schlagen zwei Szenarien für die AIGFs vor. 

Dieses Jahr markiert einen klaren Kurswechsel der Europäischen Kommission bei Künstlicher Intelligenz (KI) – von Regulierung hin zu Industriepolitik. Im April veröffentlichte die Kommission ihren „AI Continent Action Plan“, der skizziert, wie die EU im globalen KI-Wettlauf aufholen will. 

Ausbau der Recheninfrastruktur als Priorität der Europäischen Kommission 

Kern des Plans ist ein massiver Ausbau der Recheninfrastruktur – der Schlüssel zum Trainieren und Betreiben von KIModellen. Die Kommission schlägt fünf KIGigafabriken (AIGFs) vor, von denen jede mindestens 100.000 fortgeschrittene KIChips beherbergen soll. Zum Vergleich: Der Supercomputer in Jülich umfasst 24.000 dieser Art. Finanziert werden soll dies teilweise durch einen Fonds von 20 Milliarden Euro im Rahmen von InvestAI – Teil eines größeren 200MilliardenEuroProgramms zur Skalierung von KIEntwicklung und Anwendung–, der rund ein Drittel der Investitionsausgaben pro Standort abdeckt. Das erklärte Ziel: in diesen AIGFs FrontierKIModelle zu trainieren und diese zu betreiben.

Zwei Szenarien für die KI-Gigafabriken-Initiative

Wir haben die AIGF-Initiative in einem Policy Brief analysiert und in den größeren Kontext des Ausbaus von KI-Rechenkapazitäten gestellt. Wir argumentieren, dass die Initiative zu viel Gewicht auf frühere Angebotsengpässe Europas legt und dabei einen kritischen Faktor übersieht – die Nachfrage.  

Auf Basis der Kartierung bestehender Rechenzentrumsausbauten sowie der Anbieter und Nutzer von Rechenkapazität schlagen wir zwei plausible Szenarien für die KI-Gigafabriken vor: 

  • Ankerkunden-Modell: Sicherung eines oder weniger Ankerkunden mit sehr hoher KI-Rechennachfrage, wie in den USA und China.  
  • Multi-Client-Modell: Bedienung eines breiteren Kundenspektrums mit niedrigen bis moderaten KI-Workloads.

Das MultiClientModell als realistischere Option für die EU 

Die ambitionierte Zielsetzung der Kommission, Frontier-KI-Modelle zu trainieren und zu betreiben, passt zum Ankerkunden-Modell. Allerdings können nur führende KI-Labs dauerhaft sehr hohe Workloads generieren – und in Europa gibt es derzeit lediglich ein führendes KI-Lab: Mistral. Damit ist das klassische Ankerkunden-Modell, bei dem ein einzelnes KI-Lab die Auslastung garantiert, weniger tragfähig. 

Ein Multi-Client-Modell passt besser zur industriellen Struktur Europas bzw. der europäischen Anwenderindustrien für KI. Um mit privaten Anbietern wie Neoclouds zu konkurrieren, müssten KI-Gigafabriken jedoch mehr als reine Rechenleistung bieten – zum Beispiel als One-Stop-Shop, der die Bausteine für das Trainieren und die Anwendung unterschiedlichster KI-Anwendungen bündelt: strukturiertes Onboarding, KI-Reifegradanalysen, kuratierte Software-Stacks und laufende fachliche Unterstützung. Dieses Vorgehen könnte ein dynamisches Ökosystem für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), Start-ups und etablierte Unternehmen schaffen, erfordert jedoch eine Neukalibrierung der aktuellen Ziele der Gigafabriken. 

Politikempfehlungen für die anstehende KI-GigafabrikenAusschreibung 

Da die offizielle Ausschreibung voraussichtlich Ende dieses Jahres erfolgt, sollten Entscheidungsträger:innen bei der Prüfung von AIGF-Anträgen drei Kriterien priorisieren: 

  • Nachfrageerhebung: prognostizierte KI-Workloads und belastbare Nutzerzusagen verlangen.
  • Realistische Zielsetzungen: Ziele der KI-Gigafabriken an die Dynamiken des europäischen KI-Ökosystems ausrichten – nicht nur an möglicherweise nicht zu realisierende Hoffnungen auf weltweit führende KI-Modelle.
  • Mehr als Rechenkapazität: KI-Gigafabriken gegenüber Hyperscalern und Neoclouds differenzieren, indem zusätzlich zur Rechenleistung integrierte Services – Plattform, Software und Support – angeboten werden.

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